Zwitschi Neunmalklug

Puh stand in der Zwergenküche und kochte gerade ein würziges Käsesüppchen, als es draußen lauthals krähte: "Alarmstufe rot! Gefahr im Verzug!" Und ehe er sich versah, kamen Zwitschi, der kleine blaue Vogel und Willy, der gutmütige Kauz, durchs offene Küchenfenster gesegelt. Wild um sich blickend versuchten sie die Gefahrenquelle zu orten. "Was ist denn los?", war der Wichtel verblüfft und wandte sich den beiden zu. "Da fragst du noch?", keuchte Willy außer Atem und schnupperte aufgeregt herum. Zwitschi war dem Übel inzwischen auf die Spur gekommen. Vorsichtig näherte er sich dem Herd. "Puh, was machst du da?" "Das Mittagessen", entgegnete der Wichtel. Zwitschi würgte: "Und was steht für mich auf dem Speiseplan?" "Das Gleiche." "Pfui! Ich suche mir eine Birne und empfehle mich." Und damit sauste der kleine blaue Vogel wieder hinaus in den Garten. Willy folgte ihm. Auch der Kauz hielt nichts von Käsesuppe.

Nachdem sich Zwitschi an den Birnen gütlich getan hatte, setzte er sich zu Willy auf die Gartenbank. "Hast du eigentlich für die Waldkundearbeit am kommenden Dienstag gelernt?", fragte der Kauz unvermittelt. "Gelernt? Na ja, so würde ich es nicht nennen. Ich habe das Wissen sozusagen im Schlaf aufgesaugt", erklärte der kleine Vogel und plusterte sichtlich stolz seine Federn auf. "Und wie hast du das gemacht?", wollte Willy wissen. "Ich habe das Waldkundebuch unter mein Kopfkissen gesteckt und schlafe seit nunmehr vier Tagen darauf. Was glaubst du, was ich jetzt alles weiß." "Ich fürchte nicht viel mehr als vor deiner zweifelhaften Bildungsoffensive", murmelte der Kauz und ließ traurig die Flügel hängen. Auch Puh hatte nur zu gut verstanden, was Zwitschi gesagt hatte, und machte sich nun ernstlich Sorgen um seinen blau gefiederten Hausgenossen. Also ließ er den Abwasch stehen und stürzte in den Garten hinaus.

"Zwitschi, das Buch unter deinem Kopfkissen war doch hoffentlich nicht deine einzige Vorbereitung auf die Waldkundearbeit?", erkundigte er sich vorsichtig. "Doch, war es", erklärte der Vogel und sah ihm fest in die Augen. "Das ist ja so, als wenn ich mein Kochbuch neben den Herd lege und darauf warte, dass in meinem Topf eine Waldpilzsuppe köchelt", stellte der Zwerg einen Vergleich an. "Pfui! Waldpilzsuppe! Pilze kann ich überhaupt nicht ausstehen", war das Einzige, was Zwitschi dazu einfiel. "Worüber ich sehr froh bin, bei deinen Pilzkenntnissen käme ich ganz schön ins Schwitzen", sagte Puh unbeeindruckt, "aber um noch mal auf das Lernen zurückzukommen, eine weitere Sechs kannst du dir beim besten Willen nicht leisten!" "Und warum nicht? Igel Stachelchen hat doch auch schon drei Sechsen gefangen?" "Aber dem konnte ich letzte Woche wenigstens eine Eins für seine Hausarbeit über die Nadelbäume eintragen. Deine Arbeit habe ich lieber gar nicht erst bewertet. Keine deiner Zuordnungen hat gestimmt." "Wer soll denn auch dieses Nadelgestrüpp auseinanderhalten", protestierte Zwitschi, "piksen tun die Dinger schließlich alle gleich. Außerdem war die Zeit äußerst knapp bemessen." "Was heißt hier knapp? Zwei Wochen sind nun wirklich ausreichend", verteidigte sich Puh. "Aber ich hatte, nachdem es mir wieder eingefallen war, nur noch zwei Stunden für meine Hausarbeit." Der Zwerg schlug die Hände vors Gesicht. "Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dir die Hausaufgaben in dein Hausaufgabenheft eintragen sollst." "Das nützt doch aber nichts, wenn ich ständig vergesse, dort nachzuschauen", gab Zwitschi zurück. "Ich geb's auf", jammerte Puh. "Sei getrost, schon übermorgen wirst du aus dem Staunen nicht mehr rauskommen", versprach Zwitschi voller Überzeugung. "Das befürchte ich auch", murmelte der Zwerg und ging mit einem gequälten Seufzer zurück in seine Küche.

"Und wir beide sollten jetzt endlich ein wenig zusammen lernen", schlug Willy vor und lud Zwitschi in sein Kauzennest ein. Er konnte es nicht ertragen, dass sein blau gefiederter Freund eine Sechs nach der anderen kassierte. Doch Zwitschi hatte andere Pläne: "Lernen? Dazu besteht nicht der geringste Anlass für mich. Ich weiß doch schon alles!", zeigte er sich uneinsichtig. "Keiner kann alles wissen", gab Willy zu bedenken. "Ich schon. Schließlich habe ich auf meinem Buch genächtigt, wie du ja inzwischen weißt." Und damit rauschte er davon. Willy sah ihm noch lange kopfschüttelnd nach. Dann flog er auf Puhs Fensterbank und blickte traurig drein. "Willy, du hast es versucht", sagte Puh besänftigend und streichelte ihm übers Gefieder, "aber unser kleiner blauer Neunmalklug weiß ja mal wieder alles besser. Tja, und ich weiß, dass er die Waldkundearbeit gründlich versemmeln wird." Willy nickte bestätigend. Der Kauz wusste es auch.

Zwitschi dagegen war hochzufrieden mit sich. Da hatte er es diesem besserwisserischen Kauz einmal gründlich gezeigt. Von wegen Lernen! So ein Unsinn! Einfach auf dem Buch zu schlafen, das war Willy wohl nicht eingefallen. Selber schuld! Sicherlich hatte sich der Kauz Mühsam sein ganzes Wissen erarbeitet. Wahrscheinlich hatte er das Kapitel über die Pflanzen fünf Mal durchgelesen, sich abschnittweise Notizen gemacht und diese dann immer wieder und wieder angeschaut. Zwitschi war froh, dass ihm dieser geniale Trick mit dem Buch unterm Kopfkissen eingefallen war. Da war ihm so einige Mühe erspart geblieben. Vielleicht hätte er Puh bitten sollen, ihm ein paar Fragen zu stellen? Das hatte er ganz vergessen. Aber da unten bot sich ja eine günstige Gelegenheit, sein im Schlaf erworbenes Wissen zu erproben.

Die Hasenfamilie hatte sich am Waldsee eingefunden und Mutter und Vater Hase fragten ihre drei Kinder gerade ab. Am besten Zwitschi gesellte sich gleich einmal zu ihnen. Sanft landete er im weichen saftigen Gras und zwitscherte den Fünfen einen freundlichen Gruß zu. "Die Kirsche ist ein", fragte die Hasenmutter gerade. "Steinobst", sagte Schnuffi. "Was für ein Quatsch", schaltete sich Zwitschi ein, "die Kirsche ist natürlich ein Kernobst. Es heißt doch auch, der Kirschkern und nicht, der Kirschstein." "Wirklich?", fragte Langöhrchen und drehte sich zu Zwitschi um. Der nickte und stellte die Federn voller Hochmut auf. Diese Hasenkinder! Da gründeten sie eine Lerngemeinschaft und wussten trotzdem nichts. Tja, wenn sie mal mit dem Buch unterm Kopfkissen geschlafen hätten. Da unterbrach die Hasenmutter seine Gedanken: "Schnuffi hat recht. Die Kirsche ist ein Steinobst." "Wo steht das?", hakte Zwitschi nach, der ihr nicht traute. "Hier auf Seite vierzehn", sagte die Hasenmutter und hielt ihm das Buch unter den Schnabel. Zwitschi starrte verblüfft hinein. Tatsächlich! Na so was. Vielleicht war es ja nicht das richtige Buch? Zwitschi untersuchte den Schutzumschlag. Es war das richtige Buch! Peinlich berührt spreizte er die Flügel und startete durch. Er ließ sich vom lauen Wind über die Wipfel der Bäume treiben, bis er bekannte Stimmen vernahm.

Unter der alten Eiche saßen Hüpf und Stachelchen und fragten sich gegenseitig ab. Zwitschi beschloss sich oben in der Baumkrone niederzulassen und dem Eichhörnchen und dem Igel zu lauschen. "Die Erdbeere zählt zu", begann Hüpf. "Den Sammelnüssen", ergänzte Stachelchen. Zwitschi stand vor Entsetzen der Schnabel offen. Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er musste unbedingt einschreiten bei soviel Unwissenheit. Und alles nur, weil sie die Nasen ins Buch steckten, anstatt das Buch einfach unters Kopfkissen zu legen. "Du bist wohl nicht gescheit", schimpfte der kleine blaue Vogel und baute sich vor dem Igel auf, "behauptest, die Erdbeere ist eine Nuss. Was für ein unglaublicher Blödsinn. Die Erdbeere ist natürlich eine Beere. Was glaubst du, warum sie so heißt." "Warum sie Beere heißt, kann ich dir nicht sagen, aber dass sie zu den Sammelnüssen zählt, weiß ich ganz bestimmt", sagte Stachelchen, der sich seiner Sache ganz sicher war, und sich von Zwitschi nicht aus dem Konzept bringen ließ. Zwitschi wollte gerade lospoltern, als Hüpf sagte: "Stachelchen hat recht. Die Erdbeere zählt zu den Sammelnüssen und hier steht es auch, auf Seite fünfzehn!" Zwitschi warf einen flüchtigen Blick ins Buch, untersuchte kurz den Schutzumschlag und verließ die beiden dann überstürzt. Schon wieder hatte er sich bis auf die Knochen blamiert. Konnte es sein, dass die Taktik mit dem Buch unterm Kissen doch nicht besonders Erfolg versprechend war? Als er so seinen Gedanken nachhing, flog er am Taubennest vorüber. Der kleine Vogel suchte sich einen Ast ganz in der Nähe aus und hörte den beiden Tauben beim Lernen zu.

"Die Erdnuss zählt zu", sagte Guru. "Den Hülsenfrüchten", ergänzte Guri. Zwitschi, inzwischen ein wenig vorsichtiger geworden, nachdem er sich bei Familie Hase und Stachelchen und Hüpf so aufgeblasen hatte, näherte sich nun den beiden Tauben und erkundigte sich: "Seid ihr da ganz sicher? Ist die Erdnuss keine Nuss?" "Nein ist sie nicht. Das ist zwar komisch und entbehrt jeder Logik. Aber darauf kommt es nicht immer an. Schließlich steht es so in unserem Waldkundebuch und das zählt!", erklärte Guri. "Hab' ich das gleiche Buch?", fragte Zwitschi, obwohl er die Antwort kannte. Die beiden Tauben nickten. "Weißt du es wäre gut, wenn du mal deinen Schnabel hineinsteckst, sonst schreibst du die dritte Sechs in Folge", sagte Guru und blätterte eine Seite um. Zwitschi durchfuhr der Schreck siedend heiß. Es war geradezu offensichtlich. Sie hatte überhaupt nicht funktioniert - die Sache mit dem Buch unterm Kissen. Was sollte er jetzt tun? Gundula fragen, ob sie ihm beim Lernen behilflich ist? Sicher, die kleine Krähe mit dem reizend gelben Schnabel würde ihm gern helfen. Schließlich besuchte sie die Krähenschule und war außerordentlich klug. Aber wenn Zwitschi ihr von seiner Dummheit mit dem Buch erzählte. Wie stand er dann da? Welche Möglichkeiten gab es noch? Mit Willy lernen? Sicher, der Kauz würde ihm helfen. Aber Zwitschi war es schrecklich peinlich, Willy darum zu bitten. Schließlich hatte er ja seinen Schnabel ganz schön weit aufgerissen und getönt, dass er nicht lernen müsse, weil er ohnehin schon alles weiß. Und was wäre, wenn er die nächste Sechs einfach billigend in Kauf nahm? Puh wäre bestimmt furchtbar enttäuscht und sicherlich würde es in nächster Zeit öfter als sonst Käsesuppe geben und keiner würde für Zwitschi Rosinentörtchen backen. Das konnte er nicht riskieren.

Irgendwie musste das Wissen aus dem Waldkundebuch in seinen Kopf, und zwar schnell. Vielleicht hatte ja die kluge Eule Agathe einen guten Rat für ihn. Am Eulennest angekommen, klopfte Zwitschi mit dem Schnabel an die Tür. Agathe öffnete ihm verschlafen und gähnte. Zwitschi hatte sie bei ihrem sonntäglichen Nachmittagsnickerchen gestört. "Was gibt es denn Zwitschi", fragte sie verstimmt. "Ich muss bis Dienstag das Kapitel über die Pflanzenwelt in meinen Kopf kriegen. Wie mach ich das bloß?" "Ganz einfach, Zwitschi, du musst lernen. Nimm dein Buch, stecke den Schnabel hinein und eigne dir das Wissen an! Suche dir dann jemanden, der dich abfragt, und überprüfe, welche Punkte du dir noch einmal genauer anschauen musst." "Geht es nicht auch irgendwie anders", wollte der Vogel wissen. "Du könntest das Buch auch unters Kopfkissen legen und darauf schlafen", lachte die Eule, "aber so dumm wirst du ja wohl nicht sein." Zwitschi zog das Köpfchen ein und flatterte mit Höchstbeschleunigung davon. Wenn Agathe wüsste.

Wie er so über den Wald dahinschwebte, gelangte er auch endlich zum Maulwurfhaus. Davor saßen Grabi und Schaufelchen auf einer Wippe und quietschten vor Vergnügen. "Na ihr beiden, habt ihr schon fleißig für die Waldkundearbeit gelernt, die wir übermorgen schreiben?", erkundigte sich Zwitschi, der überrascht war, dass er auf Mitschüler traf, die ihre Nasen nicht ins Buch steckten. "Wozu denn lernen", lachte Grabi, "wir haben unsere Bücher unter die Kopfkissen gesteckt. Da lernt sich der Stoff von selbst!" Und sein Bruder Schaufelchen sah den kleinen Vogel triumphierend an: "Klug was! Da wärst du nicht drauf gekommen." Zwitschi warf verächtlich das hübsche Köpfchen in den Nacken: "Ihr Dummköpfe! Das weiß doch jeder, dass ein Buch unterm Kissen nicht hilft!" "Dafür braucht es erst einen Beweis", schnaubte Grabi aufgebracht, "frag uns etwas und du wirst sehen, wie die richtigen Antworten nur so aus uns heraussprudeln." "Also schön, die Erdbeere zählt zu den ...", begann Zwitschi. "Beerenfrüchten", rief Schaufelchen, "ist doch klar. Hast du nicht was Schwereres auf der Pfanne?" "Hätte ich schon, aber ihr scheitert ja am Einfachsten. Die Erdbeere gehört, wie jeder weiß, zu den Sammelnüssen." Die Maulwürfe sahen den kleinen Vogel verdattert an. "Woher willst du das Wissen?", fragte Grabi schließlich. "das steht doch in unserem Waldkundebuch, und wenn ihr mal hineingesehen hättet, anstatt es unters Kopfkissen zu stecken ...", brüstete sich Zwitschi und hätte sicher noch größere Reden geschwungen, wenn nicht, ja wenn nicht Willy von oben herabgerufen hätte: "Wo kommt denn dieser plötzliche Sinneswandel her? Noch heute Mittag warst du ganz stolz, weil du satte vier Tage ..." "Willy!", versuchte Zwitschi seinen Kauzenfreund zu unterbrechen. Wie würde er denn jetzt vor den Maulwürfen dastehen. Doch es war vergebens, "auf deinem Waldkundebuch geschlafen hast", vollendete der seinen Satz. Grabi und Schaufelchen stiegen lachend von der Wippe: "Aha, ich dachte, dass weiß jeder, dass ein Buch unterm Kopfkissen keinen Nutzen bringt", spottete Grabi. "Offenbar jeder, außer uns und unserem blau gefiederten Oberlehrer hier", kicherte Schaufelchen. Zwitschi sank in sich zusammen. Heute war einfach nicht sein Tag. Gerade hatte er sich zu neuen Höhenflügen aufgeschwungen, da war er von Willy auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Und selbst die Maulwürfe hatten ihn durchschaut. Spätestens morgen würde er seinen Schnabel ins Buch stecken - ganz bestimmt. Da fragte Grabi: "Wollen wir es uns nicht noch ein bisschen in unserem Kinderzimmer gemütlich machen und gemeinsam lernen? Ihr beide seid herzlich eingeladen." Zwitschi und Willy nickten und folgten den beiden Maulwürfen ins Haus. Und dort lassen wir die Lerngemeinschaft allein.