Zwergen-Neckerei

Die Sonne hatte sich schon lange in ihrem Wolkenbett zur Ruhe begeben und der Mond war pflichtbewusst zu seinem Dienst am Nachthimmel erschienen. Streng rief er die kleinen Sternenkinder zu sich und ermahnte ein paar von ihnen ihre Zacken noch einmal ordentlich zu putzen, damit sie auch schön silbern glänzten und funkelten, wenn sie in die Häuser der Zauberwaldbewohner hineinschauten. Eines dieser kleinen Sternenkinder, das mit den frechen Silberlöckchen, die sich lustig bis tief in seine Stirn hinein kringelten, guckte neugierig ins Kauzennest auf der alten Kastanie im Zwergengarten und spitzte gespannt die kleinen Ohren. "Und Puh läuft wirklich lila an, wenn er sich aufregt?", fragte Willy Kauz verwundert. Zwitschi nickte bestätigend. Er hatte es bereits gesehen. "Dass du es allerdings noch nicht erlebt hast, überrascht mich nicht wirklich", meinte der kleine blaue Vogel keck, "ich bin nämlich viel aufregender als du." "Da sagst du was", lachte Hüpf, das rotbraune Eichhörnchen, das sich mit den beiden gefiederten Freunden zu einer Runde Halma im Kauzennest verabredet hatte. "Aber ich würde auch gern mal einen lila Wichtel sehen", sagte Willy und schlug wild mit den Flügeln. "Ich eigentlich auch", Hüpf stimmte mit Willy überein. Auch das Eichhörnchen hatte bei Puh noch keinen derartigen Gefühlsausbruch in Lila beobachten können.. "Also schön, wie ihr wollt", meinte Zwitschi, "ich hab' da ein paar Tricks auf Lager. Kommt morgen früh ins Zwergenhaus. Ich werde etwas vorbereiten. Aber jetzt last uns endlich mit dem Halma-Spiel beginnen." Die beiden nickten zustimmend. Puh ahnte von diesem Gespräch unterdessen nichts. Der Wichtel saß in seinem bequemen Ohrensessel, summte ein fröhliches Lied und strickte flink an einem Paar Socken, die er seinem Koboldfreund Wuschel zum Namenstag schenken wollte. Er hatte extra kratzige Wolle ausgewählt, weil der kleine Kobold sich so gern an den Füßen scharrte. "Jedem das seine", murmelte Puh und hielt die erste Socke prüfend hoch. "So jetzt noch eine grüne Kante", Puh war mit sich zufrieden. Dass Wuschel, dieser verrückte Kobold ausgerechnet an grün-blau-rot gestreiften Socken Gefallen fand, kümmerte ihn herzlich wenig. Wieso auch! Schließlich ließ sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten. Hauptsache Puh hatte genügend rosafarbene mit roten Herzchen und gelbe mit blauen Monden in seinem Schrank. Und die gab es dann noch mit verschiedenen von Zwitschi hineingefressenen Lochmustern. Was für ein schönes Zwergenleben! Über diesen Betrachtungen schlief der Zwerg ein. Die Stricknadeln rutschten ihm aus der Hand und das Wollknäuel fiel zu Boden. Es kullerte bis vor die Tür und schlief dort ebenfalls. Und so entging Puh nicht nur das geheime Gespräch der drei Verschwörer, sondern auch, dass Zwitschi um Mitternacht mit dem Schnabel seine Halmasteine aus dem Kauzennest beförderte, nachdem er auf ganzer Linie verloren hatte.

Durch das angeklappte Küchenfenster quetschte sich Puhs blau gefiederter Mitbewohner ins Zwergenhaus. Als Zwitschi den schlafenden Wichtel im Ohrensessel entdeckte, begann er mit seinen Vorbereitungen. Er tauschte Puhs Zahnpasta gegen eine Tube Schokocreme, streute Ingwer ins Honigglas und rührte kräftig um, füllte Salz in die Zuckerdose und bildete Paare aus einer gelben und einer rosa Socke. Nun kam die schwierigste Aufgabe. Zwitschi näherte sich dem arglos schlummernden Puh und machte mit dem Schnabel sieben kleine Knoten in dessen Bartspitzen. Das dürfte für einen schönen lila Farbton genügen, dachte er zufrieden mit seiner nächtlichen Arbeit und begab sich in sein Schlafkörbchen.

Puh schlief bis zum frühen Morgen. Er träumte von heruntergefallenen Maschen, verfitzten Wollknäuels und zerbrochenen Stricknadeln. Er war dankbar, als er durch ein lautes Poltern unsanft geweckt wurde. Zwitschi hatte sich auf die Türklinke gesetzt und Hüpf ins Haus gelassen. Das Eichhörnchen war über das Wollknäuel gestolpert und lag der Länge nach am Boden. Zwitschi feixte und auch Willy, der soeben ins Zwergenhaus geflattert kam, lachte laut auf. Hüpf kam ächzend wieder hoch und begutachtete seine Zähne. Sie waren alle noch da, einer aber wackelte etwas. "Komm mit Hüpf", lachte Puh freundlich, "ich geb' dir was von meiner neuen Superfest-Zahnpasta und die Sache ist geritzt." "Meinst du wirklich?", fragte das Eichhörnchen skeptisch. "Aber klar doch, oder denkst du, die Firma Biberzahn könnte uns eine Werbelüge auftischen?" Und damit verschwanden die beiden im Badezimmer. Zwitschi wollte aufschreien. Die Zahnpastatube! Das war ja einer seiner Streiche gewesen. Und den wollte er Hüpf nicht spielen. Krampfhaft hielt er den Schnabel geschlossen. Kauz Willy sah seinen Freund erstaunt an. "Was hast du denn Zwitschi?", fragte er. Da jaulte es laut auf: "Meine Zähne verfärben sich braun", kreischte Hüpf, als er in den Spiegel sah, "Lass mal sehen", sagte Puh ruhig. Der Zwerg nahm einen schokoladigen Geruch wahr. "Tja, ich glaube, ich brauche nicht zu fragen, wer das zum Zwitschi wieder war", lachte Puh. "Brauchst du auch nicht", erklang eine helle Vogelstimme aus der Küche "Und wo hast du die Zahncreme, etwa im Vorratsschrank, passenderweise dort wo die Schokocreme sonst steht?", erkundigte sich Puh und schmunzelte. Was hatte dieser kleine blaue Vogel doch für verrückte Ideen. "Natürlich nicht", piepste es erbost zurück, "such mal im Spülkasten." "Na prima", kicherte Puh und hob den Deckel ab. Da schwamm ja die Tube, die er fluggs herausfischte und dem Eichhörnchen übergab. Hüpf rieb nun seinen Wackelzahn mit "Superfest" ein und war völlig überrascht, denn die Firma Biberzahn hielt was sie versprach. "Schaut mal, schaut", rief er und stürmte aus dem Badezimmer. Puh sagte: "Ich mach mich erst mal frisch und kümmere mich um meinen Bart. Meine Bartspitzen müssen etwas gestutzt werden. Ihr könntet inzwischen den Frühstückstisch decken. Ihr seid alle herzlich eingeladen." Dann schloss der Wichtel die Badezimmertür. In Zwitschis Gesicht stahl sich ein verkniffener Ausdruck. Das mit dem verfitzten Bart war doch sein zweiter Streich gewesen. Und jetzt schnitt Puh die Bartspitzen einfach ab. Was sollten da die sorgfältig geknüpften Knoten noch! "Was hast du denn?", fragte Willy interessiert. "Das siehst du doch, ich freu' mich gerade", geiferte Zwitschi. "Komische Freude", murmelte Willy verwirrt. Und Zwitschi schnaubte wütend, als er bemerkte, dass Willy wieder einmal nichts kapierte. Während die Drei den Tisch deckten, vernahmen sie einen freudigen Aufschrei: "Gute Idee Zwitschi. Da bin ich noch gar nicht drauf gekommen. Zwei verschiedene Socken sind wirklich chic." Der kleine Vogel registrierte es mit Grausen. Und als ihn Hüpf und Willy auch noch fragten, wann der Wichtel nun endlich die Farbe wechseln würde, entrang sich seiner Kehle ein gequälter Seufzer.

Als Puh aus dem Badezimmer kam, hatten die Drei alles hübsch angerichtet. Sogar eine Kerze brannte. Es duftete nach Kräutertee und frischem Brot. "Komm setz dich zu uns", flötete Zwitschi einladend, "Hüpf macht dir ein Honigbrot." "Das ist lieb von euch, aber nach Honig steht mir heute nicht der Sinn", sagte Puh und schnappte sich eine Käsescheibe. "Aber ich hätte gern ein Löffelchen Honig", meldete sich Willy. "Der ist nicht gut für dich, du weißt schon, da klebt dir doch immer der Schnabel zu", Zwitschi versuchte das Unglück noch abzuwenden. "Doch Willy machte nur "hä?" und dann folgte eine Standpauke von Puh an Zwitschis Adresse: "Du missgönnst doch deinem Kauzenfreund nicht etwa ein Löffelchen voll Honig, du Nimmersatt. Komm Willy mach den Schnabel auf." Der Kauz sperrte den Schnabel auf und der Wichtel fütterte ihn. Wie das brannte. Willy wusste nun auf einmal, warum Zwitschi Einspruch erhoben hatte. Er riss sich zusammen und schluckte den scharfen Honig hinunter. Doch als Puh ihm ein zweites Löffelchen voll anbot, schüttelte er abwehrend den Kopf.

"Puh, wie wär's mit etwas Zucker in deinem Tee", fragte Zwitschi. "Du bist aber heute Morgen sehr aufmerksam. Aber das ist nicht nötig. Ich hole mir ein Glas Tomatensaft." Puh stand auf und ging zum Kühlschrank. Obwohl Zwitschi verzweifelt das hübsche blaue Köpfchen schüttelte, griff Hüpf nach der Zuckerdose. Zwitschis fünfter Streich ging gerade in der Teetasse des Eichhörnchens zu Grunde. Nachdem der Tisch abgeräumt war, wickelte Puh das Wollknäuel auf. Hüpf und Willy nutzten die Gelegenheit um Zwitschi vorwurfsvolle Blicke zuzuwerfen. Der brummelte: "Ich kann doch nichts dafür" und sah sie enttäuscht an.

"Kommt Freunde", schlug Puh nach dem Abwaschen vor, "wir gehen Pilze sammeln." Keiner der Drei protestierte. Der Wichtel wunderte sich. Er hatte erwartet, dass Zwitschi sagen würde, dass er keine Pilze mochte. Aber nichts dergleichen geschah. Vielleicht sollte Puh Willy und Hüpf öfter mal zum Frühstück einladen. Das schien ja wahre Wunder zu bewirken.

Der kleine blaue Vogel jauchzte innerlich auf. Weder Hüpf, noch Willy, noch er selbst mochten Pilze. Diese Pilze waren ganz allein für Puh. Vor seinem inneren Auge sah es der kleine blaue Vogel bereits lila aufleuchten. Er wusste zwar, dass der Wichtel eigentlich nur Pfifferlinge und Maronen sammelte, aber wozu gab es denn Zwitschi? Der kannte sich nämlich in Sachen Pilzkunde bestens aus. Im Zauberwald wuchs zu seiner Freude ein ganz besonderer Pilz. Und den wollte er Puh unterjubeln. Die Vier hatten Glück. Es standen Pfifferlinge und Maronen zuhauf. Puh befüllte sein Körbchen. In einem unbeobachteten Augenblick schnappte sich Zwitschi einen der berühmten Stinkepilze. Stinkepilze sehen genau wie Maronen aus, haben aber einen winzigen roten Streifen am Stiel. Diesen Stinkepilz versteckte er in Puhs Körbchen. Die Zwergenküche würde dampfen. Und der Gestank war lange nicht aus dem Haus zu kriegen. Musste Zwitschi diese Nacht eben im Freien verbringen. Hauptsache Puh lief lila an.

Während Puh noch ein paar Pfifferlinge abschnitt, pfiff Zwitschi Hüpf und Willy seinen Streich. Die beiden kicherten. "So und jetzt bringen wir das Körbchen zu Wuschel", verkündete Puh und setzte seine Zipfelmütze gerade auf. "Zu Wuschel bringen? Wieso das denn? Ich dachte die Pilze sind für dich?", Zwitschi war entsetzt. "Das unterscheidet uns beide voneinander. Ich teile gern, wenn es ums Futtern geht", grinste Puh, "übrigens, wo ist denn Willy abgeblieben?" Hüpf hatte zwar bemerkt, dass das Käuzchen plötzlich im Gebüsch verschwunden war. Er sagte aber nichts. "Willy hält nach einem schönen Pilz für dich Ausschau. Er dachte, dass er einen Steinpilz entdeckt hat", flunkerte Zwitschi, der zu wissen glaubte, dass das Käuzchen von dem scharfen Inwerhonig außer Gefecht gesetzt worden war. "Komm Willy, wir haben genug Pilze", rief der Wichtel. Der Kauz kam hinter einem Busch hervor. "Du Puh", sagte er, "ich habe vergessen, die Kühlschranktür zuzumachen. Ich fliege zurück nach Hause. Ihr müsst Wuschel ohne mich besuchen." Und weg war er. Dass Puh ihm hinterherschrie, dass die Kühlschranktür auf jeden Fall geschlossen war, überhörte er einfach. Willy war froh allein zu sein. Da konnte er sich in aller Ruhe seinen Bauchkrämpfen hingeben.

Die drei anderen gingen zu Wuschels Hütte. Zwitschi schwitzte vor Angst. Er hatte nicht vor Wuschel mit in seine Streiche hineinzuziehen. Mit Todesverachtung sagte er: "Ich habe plötzlich einen so komischen Appetit auf Pilze. Puh, warte mal, ich suche mir einen aus." Der Zwerg blieb stehen und Zwitschi wühlte im Körbchen nach dem Stinkepilz. Da Puh keine Anstalten machte weiter zu gehen, biss Zwitschi herzhaft hinein. "Lass es dir schmecken", sagte er verwundert und band sich die offenen Schnürsenkel zu. Diesen Augenblick nutzte Zwitschi und spuckte das abgebissene Pilzstück aus. "Sieh mal", sagte der Wichtel und wandte sich Zwitschi wieder zu, "da vorn ist eine sehr einladend aussehende Bank. Wir nehmen den Pilz für dich mit und machen dort Rast." Was für ein schrecklicher Vorschlag. War denn keiner da, der Zwitschi aus diesem Albtraum herausholen konnte? Offenbar nicht. Ergeben trippelte der kleine Vogel hinter Puh und Hüpf her. Sie setzten sich auf die Bank. Puh hatte ein paar Erdbeeren gefunden und verteilte sie unter sich und Hüpf. Zwitschi würgte den Stinkepilz hinunter. Er war jetzt froh, dass der Pilz nicht sehr groß war. "Können wir weiter?", fragte der Wichtel. Zwitschi und Hüpf nickten.

Kobold Wuschel war nicht zu Hause. Seine Hausgespenster Gruseli und Spuki nahmen das Pilzkörbchen entgegen. Sie boten den Dreien einen frisch gebrauten Geistersaft an. Puh und Hüpf waren neugierig. Sie wurden nicht enttäuscht. Waldmeister und Himbeeren boten ein fantastisches Aroma. Auch Zwitschi probierte. Der Saft war nicht übel. Doch er vereinte sich mit dem Stinkepilz zu einem üblen Gebräu in seinem Magen. Im Minutentakt musste der kleine blaue Vogel aufstoßen und in seinem Bauch gurgelte es unablässig. Endlich machten sie sich auf den Rückweg. Zwitschi schwor bei seinen Federn, die letzten Spuren seiner Streiche zu verwischen und nie, nie wieder zu versuchen Puh lila zu färben. "Bei dir im Bauch rumort es ja schlimm", stellte Hüpf fest. Dieses Eichhörnchen hatte keinerlei Feingefühl. Musste es Zwitschi auch noch auf seine innersten Befindlichkeiten ansprechen. Es wusste doch ganz genau, dass er diesen blöden Stinkepilz gefressen hatte. Hüpf sah ihn entschuldigend an. Gerade war es ihm wieder eingefallen. "Da vorn ist schon mein Nest. Macht's gut ihr zwei", verabschiedete sich das Eichhörnchen schleunigst, bevor es sich noch verplapperte. Es war zu gefährlich, schließlich wollte Hüpf Zwitschi nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

Puh und Zwitschi erreichten das Zwergenhaus. Der Wichtel schälte sich Kartoffeln. Heute Mittag würde es Kartoffelbrei geben. Und Zwitschi? Der krümelte das Salz aus der Zuckerdose in den Salztopf und schüttete Zucker in die Dose. Aber was sollte er mit dem Honig anstellen? Ihm blieb keine Wahl, das Glas musste weg! Aber wie? Da hatte er eine zündende Idee. Er schmiss es aus dem Schrank. Es zerbrach in tausend Stücke." Zwitschi!", schrie Puh und kreiselte herum. Als er die Bescherung sah, flammte sein Gesicht kurz dunkelrot auf, dann ging es zu lila über. Zwitschi startete eiligst durch und war im Nu im Garten. "Willy, komm schnell, ich Hab's geschafft. Unser Wichtel hat sich verfärbt!", rief er begeistert. Doch von Willy war nicht eine Feder zu sehen. Wahrscheinlich lag er mit einer Wärmflasche auf dem Bauch im Kauzennest. Wenn Zwitschi es sich so recht überlegte, war das gar kein schlechter Einfall. "Hilf mir wenigstens beim Aufräumen", drang eine wütende Stimme aus dem Zwergenhaus. Der kleine blaue Vogel verwarf den Gedanken an die Wärmflasche und half Puh schuldbewusst, die Scherben aufzulesen.