Was du kannst, das kann ich schon lange nicht - verflixt noch mal

Zwitschi, der kleine blaue Vogel, lugte vom Kirschbaum herunter und beobachtete interessiert, wie Willy Kauz vor dem Fenster der Zwergenküche hin und herflog. "Willy, was machst du vor der Zwergenküche?" "Ich genieße feinste Wohlgerüche." „Das kann doch fast nicht möglich sein, Im Ernst? aus Puhs Küche riecht es fein?" "Zwitschi komm doch zu mir her, dann schnupper mal, ich bitt dich sehr." "Gut, ich will nun selbst erkunden, was deine Nase gut gefunden." Aber bevor Zwitschi sein Vorhaben in die Tat umsetzte, verputzte er noch sieben weitere dicke rote Kirschen. "Also was sagst du nun?", erkundigte sich Willy gespannt, als sein Freund neben ihm saß und argwöhnisch schnupperte. "Was soll ich sagen, du hast einen sehr merkwürdigen Riecher, verbrannt scheint dir offenbar zu gefallen", war Zwitschi verdutzt. "Hä, wie, was verbrannt?", war Willy verwundert und begann aufgeregt zu schnüffeln. Ja, unter die süßen Kuchendüfte hatte sich etwas seltsam beißendes gemischt. "Oje!", rief Zwitschi, als er durchs Fenster sah, "ich kann Puh nicht entdecken!" "Ich auch nicht, wo er nur steckt! Lässt den Kuchen seelenruhig im Ofen und verschwindet, na so was." "Wir müssen rein!", piepste der kleine Vogel alarmiert. "Die Tür ist abgeschlossen, ich hab es schon probiert", meinte Willy. "Dann eben durchs gekippte Fenster", schlug Zwitschi vor, als er die ersten Rauchkringel sah. Und damit schwang er sich in die Lüfte. "Komm schon Willy, ramm mich mal, mit ein bisschen Schwung von dir, krieg ich bestimmt meinen Hintern durch den schmalen Spalt", forderte der Vogel seinen Kauzenfreund auf und Willy wuchtete sich gegen Zwitschis rückwärtige Partie. Und dann war es geschafft. Voller Hast flatterte der Vogel zum Backofen und drehte den Schalter auf aus. So, das war erledigt. Wo war nur der Wichtel? "Puh!", rief Zwitschi, so laut er konnte. Nichts rührte sich. "Puh, wo steckst du denn! Deine Küche ist mal wieder voll am Dampfen!" Dann lauschte er. Er hörte die Spülung, dann den Wasserhahn plätschern. "So was, schiebt einen Kuchen in den Ofen und hält auf der Toilette eine literarische Sitzung ab“, murmelte der kleine Vogel vor sich hin. Zwitschi wusste schließlich, dass in Puhs Badezimmer immer eine Ausgabe von "Spacefighter - Wichtel Mannis Weltraumabenteuer" griffbereit lag

Puh betrat naserümpfend die Küche. "O, nein!", seufzte er, "nicht mein Zupfkuchen." Und damit holte er die Bescherung aus dem Ofen. Die schokobraunen gezupften Teigstücke sahen unappetitlich schwarz aus. Und sie rochen noch schlimmer als sie aussahen. Vor der Haustür tobte Willy herum. Er wollte schließlich federnah miterleben, was sich da drin tat. Puh ließ die Springform auf den Kuchenrost fallen und öffnete widerwillig die Haustür. "Was ist passiert?", fragte Willy und platzte fast vor Neugier. "Was soll schon passiert sein", knurrte Puh, "er ist verbrannt, mein Zupfkuchen." "Und wieso das?", stellte Willy die nächste Frage. Puh brach der Schweiß aus. Ihm war der Sinn dieses Interviews völlig klar. Willy brauchte Material für den nächsten Kaffeeklatsch bei Paul Kauz. Wütend biss er sich auf die Unterlippe. Wenn er jetzt nichts sagte, dann konnte Willy Paul auch nichts sagen. Aber was nützte das, Zwitschi war ja voll im Bilde und auf Zwitschi war Verlass, zumindest was Willys Belange betraf. "Er hat auf dem Lokus gesessen und ...", erwiderte der kleine Vogel äußerst freimütig. "Schnabel!", zischte Puh, dann rieb er sich den Bauch, brummte, "verflixter warmer Pflaumenkuchen" und verschwand eilig. "Aha, alles klar", schmunzelte Willy und Zwitschi lachte auch still in sich hinein. Auf dem Küchentisch stand ein Blech Pflaumenkuchen mit goldbraunen Zimtstreuseln, inzwischen allerdings schon abgekühlt, und verbreitete einen gar köstlichen Duft, den selbst der verbrannte Zupfkuchen nicht vollkommen überdecken konnte. Davon hatte der Wichtel also vor einer Weile genascht und postwendend die Quittung dafür bekommen. "Sieh einer an, hier steht ein Schüsselchen mit einem Rest Buttercreme", rief Zwitschi, als er die Arbeitsfläche neben der Spüle untersucht hatte. "Und da, da steht eins mit einem klein wenig Schokoladenguss, perfekt zum Ausschnabeln", verkündete Willy, nachdem er den Küchenschrank vollständig inspiziert hatte. "Da wollen wir uns mal an die Arbeit machen", erklärte Zwitschi. "Man muss helfen, so gut man kann", stimmte ihm Willy zu. Und schon waren die beiden gefiederten Köpfchen zufrieden schmatzend in den Schüsseln verschwunden.

Eine Viertelstunde später hatte Puh seinen Thron endlich doch noch verwaist zurücklassen können. "Verflixt", hauchte er, "ich hätte warten sollen, bis der Pflaumenkuchen kalt ist, dann wäre das hier nicht passiert!" Mit diesen Worten versenkte er den noch warmen Zupfkuchen im Abfalleimer. "Alles für die Katz", jammerte er. "Seien wir realistisch Puh, die Katz will diesen angebrannten Haufen da auch nicht", erwiderte Willy. "Wieso bäckst du eigentlich so viele verschiedene Kuchen?", fragte nun Zwitschi. "Das ist eine lange Geschichte", seufzte Puh, "ich mache erst noch einen Zupfkuchen und wenn er dann im Ofen ist, dann erzähl ich sie euch." Zwitschi und Willy nickten und widmeten sich wieder den Resten in den Schüsseln, man musste sie schließlich sehr gründlich säubern. Vertieft, wie sie in diese Arbeit waren, erschraken sie heftig, als Puh entsetzt aufheulte: "Zupfkuchen! Wie denn, ohne Kakao? Bei allen verhedderten Knethaken und verknoteten Rührbesen, immer muss mir so was passieren." Zwitschi sah sich flugs in der Küche um und versuchte den Wichtel zu trösten: "Es muss ja kein Zupfkuchen sein, ein Quark-Kirschkuchen tut es doch auch." "Und woher soll ich die Kirschen nehmen?", fragte Puh und ließ die Schultern hängen. "Na hier aus diesem Sieb zum Beispiel, alternativ könntest du natürlich auch auf den Kirschbaum steigen ...", beriet ihn Zwitschi freundschaftlich. "Sagtest du, hier aus dem Sieb..." Puh hechtete zum Spülbecken. Tatsächlich, da standen sie, die abgetropften Sauerkirschen. "Verflixt und zugewichtelt noch mal, die sollten doch in die Donauwelle", schrie er entsetzt auf. Und dann riss er die Kühlschranktür auf und holte den Kuchen heraus. "Sieht aber sehr schön aus", lobte ihn Zwitschi. "Ja das stimmt", meinte auch Willy, der bewundernd auf den gerade gestrichenen Guss schaute. "Mag ja sein, aber was bitte ist eine Donauwelle ohne Kirschen?" "Und wenn du die Kirschen mit einer Art Blasrohr in den Boden schießt", überlegte Zwitschi laut. Puh schaute ihn fragend an. Der kleine Vogel stutzte, erklärte sich sein Vorschlag nicht von selbst? "Na pass auf, du nimmst einen dicken Strohhalm, saugst die Kirsche an und dann volles Rohr, ab damit in den Boden gepustet!" Puh musste nun lachen. Bei all dem Ärger war das wenigstens eine sehr lustige Vorstellung. Ein Glück, dass Zwitschi da war, um ihn aufzuheitern. Das löste zwar kein Problem, aber seine ganze Anspannung. "Ich hätte da auch eine Idee", meldete sich nun Willy zu Wort, "nenn den Kuchen doch einfach Tart de la crème au chocolat." "Das ist es, das könnte gehen!", jauchzte der Wichtel und machte einen Freudensprung. Klar wieso nicht. Man gab dem missglückten Teil einfach einen klangvollen Namen und schon schmeckte es gleich delikater.

Nachdem der Quark-Kirschkuchen im Ofen war, setzten sich die drei Freunde an den Küchentisch und Puh erzählte: "Das war nämlich so: Luzie hat letzte Woche mein verstopftes Abflussrohr gereinigt, obwohl ich ihr gesagt habe, sie soll es nicht anrühren, weil sie so etwas einfach nicht kann. Und selbst ein handwerklich versierter Typ wie ich bräuchte für so eine komplexe Reparatur einen äußerst gut ausgeklügelten Plan." "Das wissen wir, diesen Plan versuchst du schon seit gut drei Wochen auszuklügeln", schmunzelte Willy. "Und seit du an diesem Plan planst, schöpfst du die Spüle tagtäglich aus und trägst das Wasser nach draußen", ergänzte Zwitschi. "Na ja, mein Konzept sollte einfach wasserdicht sein", verteidigte sich Puh. "Und dann ist Luzie vorbeigekommen und hat die Sache in die Hand genommen", sagte Willy. "O ja, und das Schlimmste war, nachdem sie das Abflussrohr wieder zusammengeschraubt hatte, war das Mistding auch noch dicht!" "Und das fuchst dich total", stellte Zwitschi fest. "Und ob, ich hab ihr in meiner Wut gesagt, dafür könnte ich besser backen als sie und ich würde es ihr beweisen", seufzte Puh. "Ich weiß nicht, hättest du ihr nicht einfach sagen können, dass du dieses Jahr so richtig tolle Tomatenpflanzen hast. Solche Prachtexemplare hat sie garantiert nicht“, meinte Willy und betrachtete den Pflaumenkuchen skeptisch. Klar, er roch gut, sah auch ganz passabel aus, aber war man damit wettbewerbsfähig? "Die Tomatenpflanzen sind von Luzie", zischte Puh verärgert und riss Willy aus seinen Gedanken. "Dann eben dein Rasen, der sieht viel ordentlicher gemäht aus, als der von Luzie", unterbreitete Zwitschi einen anderen Vorschlag. "Pst, das weiß ich, aber lass sie das bloß nicht hören, sonst darf ich alle vierzehn Tage bei ihr antanzen." Und damit erhob er sich und öffnete die Ofenklappe. "Na was sagt ihr jetzt", strahlte er und holte den Kuchen heraus. "Sieht lecker aus und riecht auch lecker", meinte Willy und Zwitschi nickte bestätigend. "Nur lecker, ihr untertreibt! So sehen Sieger aus", freute sich Puh, "das soll Miss Rohrzange erst mal überbieten."

Am nächsten Nachmittag war großer Auflauf im Zwergengarten. Die Tafel war gestellt und die Gäste hatten Platz genommen, denn Wettbewerb hin, Wettbewerb her, es sollte anschließend auch kräftig was auf die Kuchengabel geben. Puh stellte gerade seinen ganzen Stolz, den Quark-Kirschkuchen, in die Mitte, als Luzie, einen Handwagen hinter sich herziehend, in den Garten kam. Nun stellte sie einen Mango-Joghurtkuchen mit Kokos, eine dreistöckige Buttercremetorte und einen Traum von Mohn-Quarkkuchen mit Rosinen auf den Tisch. Puh warf einen kurzen Blick auf Luzies Köstlichkeiten und wusste, dass er verloren hatte. Kitty und Wuschel, die als Wertungsrichter fungieren sollten, gingen um die Tafel herum, schnitten ein kleines Stück von jedem Kuchen ab und probierten. "Alles köstlich", lobte Kitty. "Das ist auch mein Urteil, alles köstlich", erklärte Wuschel. "Und wer von uns ist nun der bessere Bäcker?", wollte Puh wissen. Er hatte es eigentlich gar nicht fragen wollen. Es war ihm aber schneller herausgerutscht, als er denken konnte, dass er es eigentlich gar nicht fragen wollte. Dabei hatte es doch bis jetzt wenigstens nach einem Unentschieden geklungen. Und damit hätte er schön zufrieden sein können. "Lassen wir doch Zwitschi entscheiden", schlug Wuschel vor, der sich total in Luzies Mango-Kokoskuchen verliebt hatte und keinen Ärger mit Puh haben wollte. "Das geht heute leider nicht", piepste der kleine blaue Vogel, "ich fühl mich so vollgefressen." "Wie wäre es, wenn Willy entscheidet", meinte nun Kitty, die keinen Streit mit Luzie wollte, denn Puhs Tart de la crème au chocolat hatte sie sehr beeindruckt. "Ach nein, mir ist heute nicht nach Kuchen“, stahl sich der Kauz aus der Verantwortung und flog demonstrativ hinauf in den Kirschbaum. "Und jetzt?", fragten die Hasenkinder mit gezückten Kuchengabeln. Die Eule Agathe überlegte, ihr Magen knurrte, der Schnabel tropfte. Dem Ganzen musste sofort ein Ende gemacht werden. "Lassen wir doch die beiden Bäcker selbst entscheiden, wer der bessere von ihnen ist." Die Maulwürfe klatschten begeistert. Eichhörnchen Hüpf faltete inzwischen das 8. Serviettenschiffchen und Igel Stachelchen trank die zweite Tasse Erdbeermilch.

"Ich hab alles gegeben, aber es war nicht genug", sagte Puh resigniert und reichte Luzie die Hand zur Gratulation. "Wieso nicht genug? Pflaumenkuchen und Quark-Kirschkuchen sind ja schon ganz wunderbar und dann krönst du das alles noch mit dieser köstlichen Tart de la crème au chocolat", strahlte sie voller Begeisterung. "Bist du sicher, dass meine kirschlose Donauwelle ein solches Lob verdient hat." "Klar bin ich das, die Kirschen im zweifarbigen Rührteig haben mich schon immer gestört", sagte sie, "die sind im Quarkkuchen besser aufgehoben." "Also ein freundschaftliches Unentschieden mit deutlicher Tendenz in deine Richtung", sagte Puh, dessen Ärger über das Abflussrohr in den letzten Sekunden vollkommen verraucht war und lächelte sie an. "Meine Tendenz geht aber eher in deine Richtung", meinte Luzie und schlug bescheiden die Augen nieder. "mir sind eure Tendenzen so ziemlich Banane", erklärte Zwitschi, "ich warte auf den Startschuss zum fröhlichen Gabeln." "Ich dachte du bist vollgefressen?", hakte Puh nach. "Genauso vollgefressen, wie unserem Willy der Sinn nicht nach Kuchen Steht", lachte Zwitschi und wies mit dem Flügel auf den Kauz, der mit der Kuchengabel auf seinen noch leeren Teller trommelte. "Dann lassen wir es uns doch einfach schmecken", sagten Luzie und Puh wie aus einem Mund, drückten einander verstohlen einen flüchtigen Kuss auf die Wange und setzten sich zu den anderen.