Spuknacht im Zauberwald

Die Dunkelheit legte ihren Mantel über den Zauberwald. Die Gespenster Spuki und Gruseli hatten sich gerade von ihrem gemütlichen Heulager auf Wuschels Dachboden erhoben. „Ist mir langweilig“, stöhnte Spuki und war schon ganz rosa im Gesicht. Die Gespenster im Zauberwald bekommen immer ein rosafarbenes Gesicht, wenn sie sich langweilen. „Mir auch“, jammerte Gruseli. „Wie wär's, wenn wir eine Runde pokern?“, fragte Spuki. „Ach, weiß nicht!“, erwiderte Gruseli. „Dann mach einen anderen Vorschlag.“ „Ach weiß nicht!“ „Fällt dir denn gar nichts anderes ein als weiß nicht?“, zischte Spuki. „Ach weiß nicht!“ Spuki konnte es nicht fassen. Immer wieder dieses gelangweilte weiß nicht von Gruseli. Wusste der denn gar nichts Besseres zu sagen. „Komm jetzt, wir pokern“, legte Spuki fest und kramte die Karten unter seinem Bett hervor. „Hatschi“, nieste er, die Staubflocken unterm Bett kitzelten in seiner Nase. Gruseli wollte kein Miesegespenst sein und spielte mit. Doch schon bald wurden ihnen die Karten langweilig und nicht einmal mehr das gegenseitige Bemogeln machte ihnen noch Spaß. „Ach ist mir langweilig!“, heulte Spuki laut auf. „Und mir erst!“, kreischte Gruseli und rasselte mit seinen Fußkettchen. Auch er war inzwischen ganz rosa im Gesicht. „Was könnten wir nur anstellen?“, fragte Spuki. „Weiß nicht“, Gruseli antwortete prompt. „Was frag' ich dich überhaupt?“, fragte Spuki. „Weiß ich doch nicht!“ Spuki heulte laut auf und warf seinem Gespensterfreund einen geringschätzigen Blick zu. „Lass uns doch im Wald herumspuken“, schlug der plötzlich vor. Er hatte nämlich gesehen, wie schön sich der dicke runde Mond in den großen Schlammpfützen spiegelte. Spuki machte vor Freude einen riesigen Sprung - von der obersten Treppenstufe bis hinunter in Wuschels Schlafraum. Und auch Gruseli lief die Bodentreppe nicht hinunter. Er kullerte mit sieben Purzelbäumen nach unten. In Wuschels Schlafraum angelangt, setzten sich die beiden auf den Kronleuchter des Kobolds und begannen zu schaukeln. Ein ohrenbetäubendes Quietschen durchtoste den ganzen Raum. Als Wuschel erwachte und die Geister unter der Decke baumeln sah, sagte er: „Wenn ihr nicht augenblicklich herunterkommt, schalte ich das Licht ein! Dann wird es heiß an euren Gespensterhintern!“ Das half. Sofort sprangen die beiden frechen Geister herunter und rannten in die Nacht hinaus, aber nicht ohne Wuschel noch einmal die Zungen herauszustrecken. Der Kobold hatte die leuchtend grünen Zungen bemerkt. Wütend warf er sein Kopfkissen nach den Geistern. Doch er traf nur die Tür, die gerade hinter den beiden ins Schloss gefallen war.

Als Spuki die vielen Pfützen vor Wuschels Hütte sah, sprang er in die größte und patschte vergnügt mit den Füßen darin herum. Gruseli lehnte an einer der Fichten und atmete die kühle Nachtluft ein. „Komm raus aus dem Wasser, du holst dir bloß wieder diesen fürchterlichen Gespensterschnupfen“, beschwerte er sich. Spuki reagierte nicht. Da holte Gruseli einen Schleimball unter seinem Umhang hervor und warf ihn Spuki mitten auf die Gespensternase. Der fragte: „Was ist denn?“ „Mach dich raus du Pfützenhopser! Sonst erschrecke ich die Zauberwäldler alleine.“ „Komme!“, rief Spuki und flog hinüber zu seinem Freund. „Der ist von mir“, sagte er und steckte Gruseli einen blauen Schleimball ins rechte Nasenloch. Nachdem Gruseli viermal kräftig durchgeschnaubt hatte, konnte es losgehen.

Zuerst gelangten sie zum Haus der Igel. „Sieh doch mal, das Glöckchen. Ob wir einmal daran ziehen sollten?“, fragte Spuki verzückt. „Gute Idee“, freute sich sein Gespensterfreund und Spuki bimmelte aus voller Kraft. Dann versteckten sich die beiden hinter einer großen Birke und warteten. Nur wenig später schaute Stachelchen zur Tür heraus. „Hallo, hat hier jemand geklingelt?“, fragte er in die Stille der Nacht hinaus. „Huhu“, rief es hinter der Birke. Der Igel erschrak, kugelte sich zusammen und rollte zurück in sein Haus. „Ich ziehe jetzt auch einmal“, meinte Gruseli und tat es Spuki gleich. Wieder versteckten sie sich hinter der Birke. Stachelchen kam abermals herausgeguckt, sah aber niemanden: „Wo bist du alter Klingler, zeig dich!“, rief der Igel ängstlich und gleichzeitig verärgert. „Huhu“, machte es hinter der Birke. Nun wurde Stachelchen aber mutiger. Er schaute nach. Die Gespenster konnten sich gerade noch hinter dem nächsten Busch verstecken. Der Igel fand alles leer und ging zurück ins warme Haus. „Komische alte Huhu-Birke. Jetzt, wo ich dachte, dass ich schon alles über Birken weiß, fangen die Dinger an zu heulen“, murmelte er vor sich hin.

„Das war aber knapp, lass uns einen anderen Bewohner ärgern. Hüpf wohnt gleich um die Ecke“, schlug Gruseli vor. Und hui flogen sie zur Eiche, wo das Eichhörnchen sein Nest hatte. Da Gespenster nicht besonders hoch fliegen können, mussten sie den Stamm hochklettern. Das strengte sie sehr an. Und so nahmen sie auf einem dicken Ast der Eiche Platz und schnauften erst mal durch. „Lass uns ins Nest gehen“, schlug Gruseli vor. Spuki war einverstanden, denn schon wieder klingeln war auch ihm zu langweilig. Im Nest fanden sie das Eichhörnchen vor, das unter seiner warmen Zudecke schlief. Und da hatten sie auch schon die passende Idee. Gruseli schnappte einen Zipfel der Decke und zog sie weg. Hüpf erwachte, weil er plötzlich fror: „So was aber auch, habe ich meine Decke aus dem Bett geschmissen“, brummte er. Er zog sie wieder bis über beide Ohren und schlief weiter. Gruseli kam hinter Hüpfs Vorratsschrank, den die beiden Geister als Versteck benutzt hatten, hervor und zog die Decke erneut weg. Und das machte er so lange, bis Hüpf nicht mehr daran glaubte, dass er die Decke selbst hinauswarf. Das Eichhörnchen suchte den Übeltäter zuerst unter seinem Bett. „Komm raus du mieser Deckendieb!“, sagte Hüpf verärgert, „oder nein, bleib besser, wo du bist und friss die Staubflocken. Diese Strafe ist angemessen.“ Diese Gelegenheit nutzten die beiden Geister, kamen hinter dem Vorratsschrank hervor, sprangen aus dem Nest und landeten weich auf Moosgrünchen. „So, jetzt auf zu Gundula, sie wohnt nur fünf Bäume weiter!“, riefen die beiden gleichzeitig und freuten sich über ihre gelungenen Streiche so sehr, dass sie einen umgefallenen Baum übersahen, stolperten und im Dreck landeten.

Gundula, die gute Krähe hatte sich schon längst zur Ruhe begeben. Als die Gespenster den Wecker neben ihrem Bett entdeckten, hatten sie eine Idee. Sie drehten so lange am Zeiger, bis der Weckruf ertönte. Die Krähe schreckte hoch, sah sich verwirrt um und entdeckte, dass ihr Wecker falsch gestellt war. Sie stellte ihn erneut und schlummerte wieder ein. Kaum hatten die beiden Geister das bemerkt, schlich sich Spuki an das Bett der Krähe und sorgte für einen zweiten, ohrenbetäubenden Weckruf. „Was ist denn heut' nur mit dir los du Mistvieh? Kannst du nicht endlich Ruhe geben? Ich warne dich, wenn du noch einen Mucks von dir gibst, schmeiß' ich dich aus dem Nest“, sagte Gundula wütend, stellte den Wecker abermals und schlüpfte wieder unter ihre Decke. Schon kurze Zeit später träumte sie von Zwitschi, dem kleinen blauen Vogel, den sie so sehr ins Herz geschlossen hatte. Sie saßen gemeinsam im Lindenbaum, dessen gelblich grüne Blüten herrlich süß dufteten, und schauten sich verliebt in die Augen. Hinter einem Vorhang in Gundulas Nest steckten aber nach wie vor die beiden Geister. Gruseli trat nun hervor und ließ den Wecker zum dritten Mal losheulen. Die Krähe wurde fuchsteufelswild. „So Freundchen, du hattest deine Chance. Ich hab' dich gewarnt. Jetzt zieh' ich Konsequenzen!“, schrie sie und warf ihn aus dem Nest. War das eine verrückte Nacht heute! Dann stand sie auf und ging in die Küche, um sich einen Beruhigungstee zu kochen. Die Gespenster nutzten diesen Augenblick und verschwanden. Ehe sie aber gingen, brachten sie den noch immer klingelnden Wecker zurück in Gundulas Nest. Als die Krähe das bemerkte, murmelte sie: „Was willst du denn schon wieder hier oben? Runter mit dir, hab' ich gesagt!“ Wütend versetzte sie ihrem Wecker einen Fußtritt. Als sie wieder in ihrem Bett lag, hörte sie ihn in der Ferne kläglich wimmern. „Jetzt heulst du, das hättest du dir vorher überlegen müssen“, dachte sie und schlief darüber ein.

Die beiden Geister waren inzwischen unterwegs zu Familie Hase. Vor dem Hasenbau stand ein Ziehbrunnen. Und neben dem Ziehbrunnen standen zwei kleine Eimer. Die Idee kam den beiden wie von selbst. Sie nahmen sich jeder einen solchen kleinen Eimer und füllten ihn mit Wasser. Dann schwebten sie durch ein offenes Fenster in den Hasenbau hinein und betröpfelten die drei Hasenkinder. „Huch“, erschrak Schnuffi, „ich glaube es regnet in den Bau hinein.“ „Rede nicht so einen Unsinn“, flüsterte Spitznäschen, der noch nichts bemerkt hatte. Und bald wurde es wieder still. Die Gespenster betröpfelten erneut die schlafenden Hasen. Sobald ein Hase die Augen aufschlug, verschwanden sie hinter einem großen Bücherregal. Die Hasen waren jetzt allerdings wach und sie beschlossen ihre Eltern zu holen, weil sie jetzt alle glaubten, dass es in ihr Zimmer regnete. Doch Schnuffi sah aus dem Fenster - nicht ein Tropfen kam aus den Wolken. Langsam stieg die Furcht in den Dreien hoch und sie begannen zu zittern. „Huhu“, lachte es da hinter dem Bücherregal. Die beiden Geister hatten sich verraten. Die Hasen fanden sie sofort und jagten sie mit dem Staubwedel zum Fenster hinaus. Dann machten sie es fest zu und legten sich zu Bett.

Die Gespenster begaben sich nun zum Zwergengarten. Dort fanden sie Pünktchen vor, das mit Zwitschi auf dem Rücken schlief. Spuki riss einen Grashalm aus und kitzelte das Reh so lange in der Nase, bis es niesen musste. Das Reh hatte einen festen Schlaf und der kleine Nieser änderte erst einmal nichts daran. Zwitschi hingegen fiel von seinem Rücken, sagte leise "verflixt und zugefedert" und schlief im weichen Gras weiter. Spuki ärgerte Pünktchen aber immer noch mit dem Grashalm. Das Reh nieste zwar im Halbschlaf ein ums andere Mal, wurde aber nicht wirklich munter. Spuki amüsierte sich köstlich darüber und kicherte leise. Gruseli seinerseits zwackte Zwitschi in die Schwanzfeder. Der Vogel wurde langsam munter und schimpfte: "Dumme Mücken", schnappte zu und biss sich in den Schwanz. Jetzt war er plötzlich hellwach. Wild jammernd vor Schmerz hüpfte er durch den Garten. Das Reh war durch Zwitschis lautstarkes Getobe wach geworden und jagte dem Vogel hinterher. Pünktchens schlechte Laune konnte sich nämlich ins Unermessliche steigern, wenn es im Schlaf gestört wurde. Die beiden rasten eine Weile durch den Garten, dann wurde Pünktchen wieder müde, legte sich hin und schlief. Zwitschi setzte sich auf einen Ast, bettete sein Köpfchen unter die Flügel und schlief ebenfalls. Die Gespenster lachten vor Freude über diesen gelungenen Streich und betraten dann das Zwergenhaus.

„Komm lass uns eine Runde mit Puhs Topfdeckeln werfen“, schlug Gruseli vor. Und Spuki war sofort dabei. Er nahm sich einen Deckel und warf ihn Gruseli zu. Und so ging es hin und her, bis ein Deckel herunterfiel. Puh wurde wach und steckte seinen Kopf zur Küchentür herein. Gerade wollte er „Zwitschi!“ rufen, als er die beiden Gespenster bemerkte. „Das ist das falsche Zwergenhaus“, sagte er. „Heute haben wir Spuknacht!“, freute sich Spuki, „und da toben wir im ganzen Wald herum.“ „Hier ist nix Wald, das ist meine Küche“, stellte Puh klar. Gruseli holte zwei Schleimbälle unter seinem Umhang hervor und steckte sie Puh in die Ohren. Der verzog angewidert das Gesicht. „Huh, huh“, freuten sich die beiden. „Huh, huh“, äffte sie Puh wütend nach. „Ich zeig' euch gleich huh, huh.“ Daraufhin schnappte er sich den Besen und kehrte die Geister zur Tür hinaus. „Eigentlich keine schlechte Idee“, schmunzelte der Zwerg und klapperte mit den Topfdeckeln.

Draußen wurde es langsam hell. Die beiden Geister kehrten in Wuschels Hütte zurück und suchten ihr Heulager in der Schmutzecke auf dem Dachboden auf. Was war das? Wer zum Kuckuck hatte die vielen Knallerbsen unters Heu gestreut? „Wisst ihr's nicht? Heute ist doch Donnerstag!“, lachte Wuschel und rutschte am Geländer die Bodentreppe hinunter.