Die kleine Wassernixe

Was für eine schreckliche Hitze im Zauberwald. Bereits seit einer Woche war kein Tropfen Regen mehr gefallen. Die Bäume ächzten, die Tiere keuchten und Puh schwitzte. Und das nicht nur wegen der anhaltenden Dürre, sondern weil er geschäftig sämtliche Bücher nach einem Regenzauber durchforstete. "Wasser, Wasser", kam der kleine blaue Vogel Zwitschi hereingetapst. "Trink doch aus dem Springbrunnen", empfahl ihm der Zwerg. "Geht nicht, das Wasser ist verdampft." "Was ist mit dem Wasser?", fragte Puh. "Es ist verdampft. Hör mir doch wenigstens zu, wenn ich dir was erzähle", knurrte Zwitschi beleidigt. "Was sagst du da? Verdampft?" Zwitschi nickte heftig. "Sprichst du nicht mehr mit mir?", fragte der Wichtel. "Ich hab' doch genickt. Ich dachte, das ist einfacher für dich, weil zuhören heute keine deiner Stärken zu sein scheint. Woher sollte ich wissen, dass du mich jetzt nicht mehr anguckst. Dir kann man es aber gar nicht recht machen." "Also ist es wahr, das Wasser ist verdampft. Das ist ja schrecklich! Trink aus der Blumenkanne", bot der Zwerg an. "Ist gut", meinte Zwitschi und hüpfte aufs Fensterbrett.

Doch das Wasser stand so niedrig in der Kanne, dass er es nicht erreichen konnte. Zwitschi zwängte mit viel Mühe sein Köpfchen in die schmale Öffnung. "Ich komme nicht dran", klang es hohl aus der Blumenkanne. "Zwitschi?", fragte Puh, "Was machst du da?" "Feststecken", plärrte der Vogel, "zieh mich raus. Ich schaffe es nicht allein." Puh stand auf und zog mit der einen Hand an dem Vogel in der Blumenkanne, mit der anderen hielt er die Kanne fest. Zuerst ging es schwer. Puh traten die Schweißperlen auf die Stirn. Er Kämpfte und Zwitschi beschwerte sich: "Nicht so doll ziehen, ich bin doch nicht aus Gummi!" Dann machte es "Plopp!" und Puh landete von seinem eigenen Schwung getrieben samt Zwitschi auf seinem Hosenboden. Der Vogel war endlich befreit. "Beinahe hättest du mir meine schöne rosa Schmuckfeder ausgerissen. Kannst du nicht etwas rücksichtsvoller sein? Ach übrigens, ich will was zu trinken. Deine Kanne hat keinen einzigen Tropfen rausgerückt", sagte Zwitschi. "Danke, dass du dich erkundigt hast, wie es mir geht", maulte Puh und rappelte sich mühsam hoch. "Das hab' ich doch gar nicht", Zwitschi verstand die Welt nicht mehr. "Na eben deshalb", beklagte sich der Zwerg. "Durst Puh, Durst", Zwitschi ließ sich nicht beirren. "Gut, ich hole eine kleine Schale und werde dir etwas Wasser aus meiner Wasserflasche darauf schütten. Dann kannst du deinen Durst stillen." Sprach's und machte sich ans Werk.

Da kam Willy, der Kauz, zur Tür hereingetrippelt. "Durst", jammerte auch er. "Kannst was aus meiner Schale abhaben", zeigte sich Zwitschi großzügig und Willy bedankte sich mit einem freundlichen Flügelstreichler bei Zwitschi. Gerade als der Zwerg sich wieder über sein Buch hergemacht hatte, öffnete sich abermals die Tür. Es war Pünktchen. Puh erkannte es an seinem goldenen Glöckchen, das das Reh um den Hals trug. "Na Pünktchen, lass mich raten, du willst etwas zu trinken", murmelte der Zwerg ohne aufzusehen. Sonst hätte er bemerkt, dass das Reh nicht allein war.

"Würdest du mich bitte ansehen, wenn du mit mir sprichst?", fragte Pünktchen. "Wieso denn, ich weiß doch wie du aussiehst", brummelte Puh. "Du verpasst etwas, wenn du es nicht tust, denn ich habe einen Fund gemacht." Puh hob den Kopf und seine Augen wurden groß vor Erstaunen. Auf Pünktchens Rücken hielt sich mühsam eine kleine Wassernixe fest. Sie hatte herrliche blonde Haare, die schönsten blauen Augen, die Puh je gesehen hatte, und einen grün schillernden Fischschwanz. "Seht mal, wen ich mitgebracht habe", sagte das Reh. "Wasser", hauchte die Nixe kraftlos. Puh drehte sofort am Wasserhahn seiner Badewanne. Zögernd kam ein kleines Rinnsal heraus. "oje, wir brauchen unbedingt Regen", der Zwerg war bedrückt. "Wasser", hauchte die Nixe abermals, "Sonst sterbe ich. Mein Bächlein ist nämlich davongelaufen. Pünktchen hat mich glücklicherweise gefunden und mitgenommen." Inzwischen waren drei Handbreit Wasser in der Wanne. Puh hob die kleine Nixe behutsam vom Rücken des Rehs und setzte sie ins wohltuende Nass.

Schnell kam die Nixe wieder zu Kräften und begann zu erzählen: "Ich lebe schon seit fünfhundert Jahren im Bächlein. Und eine solche Dürre gab es schon einmal, als ich hundert Jahre alt war. Ich bin damals von einer guten Eule gerettet worden und diese hat dann sogar den Regen zurückgeholt - und zwar mit einem Regentanz. Den hat sie zusammen mit drei weiteren Waldbewohnern aufgeführt. Ihr seid auch vier. Es könnte also klappen." "Regentanz - das klingt vernünftig. Wir werden es probieren", Puh strahlte. "Das ist doch nicht dein Ernst", maulte Zwitschi, "oder ist in der Hitze dein Gehirn verdampft?" Pünktchen und Willy warfen dem Vogel einen vernichtenden Blick zu. Dieser klappte den Schnabel zu und dachte sich seinen Teil. Wahrscheinlich war er der Einzige, der einen kühlen Kopf behalten hatte. "Kommen wir auf den Regentanz zurück. Wie wird der getanzt?", erkundigte sich Puh. "Du brauchst eine Trommel. Damit klopfst du einen Takt und zwar so - domm, domm, domm, domm. Ihr stellt euch alle im Kreis auf. Die Beine hebt ihr abwechselnd in die Luft und bei jedem vierten Trommelschlag ruft ihr das Wort Regen", erklärte die Nixe. "wenn ich das höre, wird mir gleich domm-domm im Kopf. Denkst du etwa, wir sind so dumm-dumm und fallen darauf rein?", Zwitschi war fassungslos. "Regentanz? Domm, Domm? Klingt sehr abenteuerlich", auch Willy hatte plötzlich Zweifel. "Probiert es doch einfach einmal aus. Falls es nicht funktioniert, könnt ihr ja immer noch nach einem Zauberspruch suchen."

Die Vier befolgten den guten Rat der Nixe. Eine bessere Idee hatten sie schließlich auch nicht. Sie kamen sich allerdings sehr albern vor, als sie diesen komischen Regentanz aufführten. Schwitzend hüpften sie nach dem Takt von Puhs Trommel, die aus einem Topf und einem hölzernen Kochlöffel bestand. Nichts passierte. "Hab' ich's nicht gleich gesagt", stöhnte Zwitschi und ließ die Schweißperlen nur so fliegen, "es funktioniert nicht. Eine einmalig blöde Idee und du glaubst an diesen Unfug, Puh!" "Hör auf zu maulen und mach weiter, Solange dein Schnabel noch auf- und zuklappen kann, wird es dich schon nicht zu sehr anstrengen", hechelte der Zwerg außer Atem. "So ein Mist", moserte Willy, "jetzt muss ich auch noch für kleine Käuzchen von dieser doofen Hopserei." "Das macht bestimmt dieses dämliche Gesinge von Regen, Regen, Regen", schnaubte Zwitschi, "Regen ist bekanntlich nass und da ist es ja kein Wunder. Wenn du es schon erwähnst, ich glaub', ich muss auch." "Wollt ihr beiden Miesmacher wohl endlich still sein", Pünktchen hatte das Gezeter gehörig satt. "Aber ich muss wirklich", jammerte Willy, "der Regentanz wirkt. Und wenn ich mich auf die Kastanie setze, kommt sogar Wasser von oben." "Willy!", entrüstete sich Pünktchen. "Wenn er doch aber muss", verteidigte Zwitschi seinen Kauzenfreund. "Willy, wage es bloß nicht das Haus zu verlassen", keuchte Puh, "du bleibst hier und wenn du auf meinem Teppich eine Pfütze machst." "Ich bin ein wohlerzogenes Käuzchen", gluckste Willy. Und noch ehe einer der anderen reagieren konnte, war er schon zur Tür hinaus.

"Vier, vier, es müssen doch vier Bewohner sein!", schrie die kleine Nixe aufgeregt und schlug die Hände vors Gesicht. "Dann mach du doch mit bei diesem albernen Getobe", schlug Zwitschi altklug vor. "Würde ich gern, ich glaube nämlich daran, aber leider habe ich keine Beine", sagte die Nixe. "Dann spring doch auf deiner Schwanzflosse herum", Zwitschi plusterte seine Federn auf und warf den Kopf zurück. "Weitermachen", keuchte Pünktchen. "Wäre ich bloß für kleine Vögel gegangen", jammerte Zwitschi, "dann würde mir das Wasser wenigstens nicht nur von der Stirn tropfen." "Regen, Regen, Regen", rief das Reh unverdrossen. "Du glaubst doch nicht im Ernst an diesen Regen-Hokus-Pokus", hinterfragte Zwitschi kritisch. "Natürlich glaube ich daran!", sagte Pünktchen überzeugt. Dem kleinen Vogel blieb der Schnabel offen. So viel Dummheit konnte doch nicht in ein einziges Reh passen.

Da schwang die Tür mit einem lauten Knall auf und Willy stürzte herein. "Es regnet, es regnet, ich habe ein paar Tropfen abbekommen." "Und du bist sicher, dass es Regen war und nicht etwa ... Ich meine, wenn manchmal ein Windstoß kommt ..." "Halt den Schnabel", stoppte Puh den Vogel. "Ja natürlich bin ich sicher, seht doch mal aus dem Fenster. Da hängt eine kleine dicke Regenwolke direkt über meiner Kastanie und wie es dort hinten aussieht, holt sie wohl gerade ihre Freunde", freute sich Willy. Puh, Zwitschi und Pünktchen sahen aus dem Fenster. "Regen", rief das Reh überglücklich und rannte in den Garten. Die anderen hinterher. Lauthals jubelten sie, dass man es im ganzen Wald hören konnte. Nur Zwitschi war plötzlich still geworden. Ganz still. Er schmollte. Schließlich gab er ungern zu, dass er sich geirrt hatte.

Die kleine Nixe musste sich noch etwas gedulden, bis der Bach endlich wieder so viel Wasser führte, dass sie umziehen konnte. In der Zwischenzeit blockierte sie noch ein paar Tage die Zwergenbadewanne. Aber das verdross den Wichtel nicht, denn er konnte sich ja am Springbrunnen waschen, wenngleich das Wasser in der Wanne viel wärmer war.