Langeweile

"Ist mir langweilig", stöhnte Zwitschi und versenkte seinen Schnabel im vierten Apfel. Puh, der mit einem Wust bunter Wollfäden im Arm die Zwergenküche betrat, beäugte den kleinen blauen Vogel misstrauisch und fragte Schlimmes ahnend: "Was machst du da?" "Ich dachte, ich Versuchs jetzt mal mit Figuren ausschnabeln", erklärte Zwitschi bereitwillig, "hier zum Beispiel kannst du einen schönen sechszackigen Stern bewundern." Puh ließ die Fäden fallen, stürzte auf den Obstkorb zu und drehte die übrigen Äpfel um. Mit wild fuchtelnden Armen hielt er Zwitschi davon ab, auch noch ein Bild in den fünften Apfel zu schnitzen. Sein blau gefiederter Mitbewohner hatte wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Die drei anderen von ihm künstlerisch in Szene gesetzten rotbackigen Äpfel waren mit einem Halbmond, einer Sonne und einer Schäfchenwolke verziert worden. "Zwitschi, das kann doch wohl nicht wahr sein", entfuhr es Puh, "wieso machst du das?" "Wieso ich das mache? Mir ist langweilig und da dachte ich, ich übe mich mal ein bisschen in plastischer Kunst. Heute ist erst der dritte Tag der Frühlingsferien und irgendwie muss ich ja die Zeit totschlagen." Zwitschi sah ihn traurig an und gähnte. "Von Ferien habe ich ehrlich gesagt noch nichts bemerkt", murmelte der Wichtel, "seit nunmehr zwei Tagen räume ich dir ständig hinterher und heute geht es, wie mir scheint, munter so weiter.

Vorgestern war es dein plötzliches Interesse an der Fußmalerei, das meinen Küchentisch mit Marmeladenklecksen verunstaltete ..." "Verunstaltete? Ich bitte dich! Ich habe mich nur in der abstrakten Kunst erproben wollen! Du hast wirklich überhaupt keinen Sinn für meine Kreativität", warf Zwitschi ein. "Und was sollte dein Marmeladenbildnis vorstellen? Ein Schlachtfeld vielleicht?", brauste Puh auf, als er an die klebrige Katastrophe dachte. "Ich sagte doch - abstrakte Kunst. Es liegt also im Auge des Betrachters das Werk zu interpretieren", gab der kleine Vogel zurück. "Und dann dieser riesige Konfettiregen, mit dem du gestern Abend meine Schränke überflutet hast? Welche Bedeutung hatte der?", fragte der Wichtel verdrießlich. Nicht einmal das Kreuzworträtsel hatte ihn der Vogel lösen lassen, bevor er die Zauberwaldzeitung in handliche kleine Fetzen geschnabelt hatte, um sie dann in der ganzen Stube zu verstreuen. "Der Konfettiregen hatte keine besondere Bedeutung. Ich wollte mich bloß ein bisschen beschäftigen, die Langeweile war mir bis in die letzte Feder gekrochen und da kam mir der rettende Gedanke, es einmal mit der Dekoration von Möbelstücken zu versuchen", verteidigte sich Zwitschi. "Ah, ja", knurrte Puh, der daran dachte, wie viele Stunden es gedauert hatte, die kleinen Schnipsel zu jagen und zusammenzukehren. Zwitschi hatte mürrisch dabeigesessen und ihm müde zugesehen. Und als er ihn gefragt hatte, ob er nicht ein wenig helfen wolle, hatte der kleine Vogel nur gesagt: "Sieht nicht gerade aufregend aus, was du da machst."

Puh war nun der eigentliche Grund für das Betreten seiner Küche wieder eingefallen. Fast eine Stunde hatte der Wichtel damit zugebracht Sofa und Sessel von Zwitschis farbenfroher Umgarnung zu befreien. Ja und die Spur des Schreckens hatte er danach bis zum Küchentisch zurückverfolgen können. "Und was soll das hier?", fragte der Wichtel nun aufgebracht und hielt die verworrenen Wollfäden hoch. "Das ist meine Art zu stricken. Ich hab schließlich nur einen Schnabel und kann nicht zwei Nadeln und einen Faden halten. Ich dachte ich umwickle deine Möbel einfach schön bunt, wenn dir das Bestreuen mit Zeitungspapier schon nicht zusagt", erwiderte Zwitschi. Puh lief mit dem Fadenwust noch dreimal um den Küchentisch herum, um auch Zwitschis letzte Schlingen zu entfernen. Tief zog der Wichtel die Luft ein. Wenn das so weiterging! Heute war erst der dritte Ferientag und zwei weitere würden noch folgen. "Mir ist so schrecklich langweilig", jammerte der kleine Vogel verzweifelt und sah betrübt zur Decke empor. "Das Merkwürdige an DER Sache ist lediglich, dass ich mich, seit deine Langeweile in meinem Zwergenhaus Einzug gehalten hat, vor Beschäftigung fast nicht mehr retten kann", brummelte der Wichtel und kratzte sich nachdenklich am Bart. "du Puh, ich sag's ungern, aber mir fehlt die Schule! Wann hören endlich diese verflixten Ferien wieder auf?", beklagte sich Zwitschi. Während Puh damit begann, die Wollfäden zu entwirren, murmelte er resigniert: "Wann fangen für mich endlich diese verflixten Ferien an?"

Zwitschi war unterdessen aus dem Küchenfenster geflattert. Mit dem Wichtel konnte er heute nichts anfangen, der rollte Wollknäuels zusammen und das würde dauern. Schließlich hatte es ja wenigstens zwei Stunden gedauert, die Zwitschi mit Abrollen beschäftigt war. Zumindest war ihm dabei nicht ganz so langweilig gewesen, wie in den Stunden, als er vor Puhs Orchideenknospen gesessen war und darauf gewartet hatte, dass endlich eine aufsprang. Aber die Wollfäden nun wieder aufrollen? Den kleinen blauen Vogel überfiel große Müdigkeit bei diesem Gedanken. Am liebsten hätte er sein Köpfchen einfach unter die Flügel gesteckt und ... Aber Schlafen in den Frühlingsferien? Das kam überhaupt nicht infrage. Wozu gab es denn die Schulstunden? Und jetzt? Was sollte er tun? Zuerst einmal musste eine gute Ferienidee her. Immerhin musste er noch zwei und einen halben von diesen schulfreien Tagen rumkriegen. Niemals hätte Zwitschi gedacht, dass er sich einmal so nach der Waldschule sehnen würde. Im Garten traf er auf den friedlich schlafenden Willy. Der Kauz hatte zusammen mit Puh eine Hängematte zwischen zwei Apfelbäumen gespannt und ließ sich die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch das Astwerk hindurchblitzten, auf den Bauch scheinen. Zwitschi landete auf einem Ast oberhalb seines Kauzenfreundes, zupfte ein paar Blättchen ab und ließ sie auf ihn hinabschweben. Willy schlief weiter. Der laue Frühlingswind wiegte die Hängematte leicht hin und her und der Kauz baumelte zufrieden darin herum. "He, du Schlafmütze", krähte Zwitschi in voller Lautstärke. ein Sanfterer Weckruf hatte bei Willy überhaupt keinen Sinn. Willys Kauzenohren zuckten ein wenig. "Aha, er wird langsam munter", freute sich der kleine Vogel. "Willy! Willy! Wach auf!", plärrte Zwitschi zuversichtlich weiter. Erst hatten die Ohren gezuckt und schon in wenigen Sekunden würden sich die Augenlieder heben. Oder auch nicht. "Willy! Nun wach doch endlich auf!", brüllte Zwitschi so laut er konnte. Jetzt zeigten sich die ersten wirklichen Erfolge. Alle Schmetterlinge in der näheren Umgebung des kleinen blauen Vogels suchten vor Schreck das Weite. Und Willy? Was machte der? Eigentlich nichts! Nur sein linker Fuß schien ein kleines bisschen zu zucken. Zwitschi gab es endgültig auf. Sein Kauzenfreund war offenbar nicht gewillt auch nur eine einzige Feder zu rühren, Nur seine Brust hob und senkte sich sanft unter den ruhigen zufriedenen Atemzügen. Schlafen und Abhängen? Den ganzen Tag? Das war nichts für Zwitschi. Also hinein in den Zauberwald. Irgendwo musste doch ein bisschen Ferienspaß zu finden sein.

Die Hasenkinder jedenfalls schienen etwas gefunden zu haben, das ihnen Spaß machte. Zwitschi sah neugierig zu ihnen hinunter und landete auf dem runden Tisch vor dem Hasenhaus. Enttäuscht trippelte er von Schnuffi zu Langöhrchen und wieder zurück. So jedenfalls hatte sich der kleine Vogel eine interessante Ferienbeschäftigung nicht vorgestellt. Schnuffi malte ein Bild nach Zahlen - wie albern! Wahrscheinlich wurde da in den nächsten Minuten eine große rote Mohnblume sichtbar, auf der ein hellblauer Schmetterling saß und den Tau schleckte. "Ist diese Pinselei nicht furchtbar öde?", gähnte Zwitschi und beobachtete wie Schnuffi die Blätter grün malte. "Wieso?", fragte der kleine Hase verwundert. "Da fragst du noch? Also mir jedenfalls würden da die Pfoten einschlafen", behauptete der kleine blaue Vogel. "du meinst wohl eher der Schnabel", berichtigte ihn Schnuffi. "Erbsenzähler", brummelte Zwitschi und wandte sich nun Langöhrchen zu, der in einen dicken Märchenbuch schmökerte. "Was liest du denn da?", fragte er und untersuchte die aufgeschlagene Seite. "Das Märchen vom Marienkäfer, der in die Welt hinausfliegt um sich eine Braut zu erwerben", gab Langöhrchen freundlich Auskunft. "Ach die Geschichte", gähnte Zwitschi und machte ein paar Schritte rückwärts, "die brauchst du gar nicht erst zu lesen. Die kann ich dir auch so erzählen. Pass auf: Bei seiner Suche trifft der Marienkäfer zuerst auf diesen Laubfrosch, der ihn zum Mittagessen einlädt. Der Haken an der Sache ist aber, der Käfer soll nicht der Gast sein, sondern die Mahlzeit." "Schnabel, ich will die Geschichte doch selber lesen!", protestierte Langöhrchen. "Bitte, wie du meinst! Ich wollte dich nur vor einer großen Enttäuschung bewahren. Die Geschichte ist nämlich zum Gähnen langweilig. Die fünfunddreißig Seiten hätte ich mal schnell in drei Minuten für dich durchgehechelt. Das reicht meiner Meinung nach völlig aus. Aber wenn du nicht willst ..." Und weg war der kleine blaue Vogel. Am Gartenzaun stand Spitznäschen, der dritte kleine Hase und strich die Latten feuerrot. "Hallo Zwitschi", begrüßte er den gefiederten Gast, "willst du mir vielleicht ein wenig helfen? Ich könnte dir einen Pinsel holen." "Nein danke, dieses eintönige auf und ab ist nichts für mich. Ich suche etwas, das meine Langeweile vertreibt, nichts das sie noch fördert." Und damit drehte er dem Hasenhaus den Rücken zu und flog zum Maulwurfshaus hinüber.

Davor saßen die Maulwurfskinder Grabi und Schaufelchen und spielten mit ihrem Vater Wühli eine Partie Halma. "Hallo Zwitschi", begrüßte ihn Wühli froh gelaunt, "hast du Lust mitzuspielen? Du kannst meine Spielsteine haben. Ich gehe inzwischen ins Haus und mache uns einen kleinen Apfelimbiss zurecht." "Apfelimbiss!", brummelte Zwitschi, "Äpfel hatte ich heute schon mehr als genug. Wenigstens mein Speiseplan sollte etwas abwechslungsreicher sein, als diese verflixten Ferientage. Und dieses sinnlose Herumgehopse auf dem Spielbrett. Wie kann man nur Halma spielen. Langweiliger geht's ja wohl nicht. Ich bin schon wieder weg. Mir steht der Sinn nach etwas Aufregendem, nicht nach Brettspielen." Und damit verschwand er. Vielleicht traf Zwitschi ja auf seinen Eichhörnchenfreund Hüpf und sie konnten zusammen etwas unternehmen. Und tatsächlich! Zwitschi traf auf Hüpf und der baumelte zumindest schon mal nicht schlafend in der Hängematte wie sein Kauzenfreund Willy - im Gegenteil. Das Eichhörnchen huschte flink und munter durch die Krone der Eiche, in der sich sein Nest befand und machte hastig Notizen auf einem Schreibblock. "Was kritzelst du da?", fragte Zwitschi interessiert. Immerhin befand sich das Eichhörnchen in ständiger Bewegung und seine Beschäftigung wirkte auf Zwitschi sehr kurzweilig. Genau das, wonach ich gesucht habe, dachte der kleine Vogel und war drauf und dran Hüpf ein wenig Gesellschaft zu leisten. "Hallo Zwitschi! Endlich sind Ferien", freute sich Hüpf, "da habe ich mal richtig Zeit, die Koordinaten der neu gewachsenen Blätter zu notieren. Du kannst mir gern dabei helfen." Der kleine Vogel gähnte, wandte sich desinteressiert ab und sagte: "Nein danke! Das Registrieren von Eichenblättern hilft garantiert auch nicht gegen meine Langeweile. Aber was hast du denn vor, wenn du mit dem Baum hier fertig bist?" "Na was wohl, ich untersuche die benachbarten Bäume auf frische Triebe", erklärte Hüpf. Zwitschi verabschiedete sich schleunigst. "Viel Spaß noch, ich mach den Abflug. Wenn ich dir weiter zusehe, wird mir gleich noch langweiliger, als mir ohnehin schon ist!" Und dann war er verschwunden.

"Komisch, den anderen scheinen diese Ferien überhaupt nichts auszumachen", grübelte Zwitschi, als er so über den Baumkronen dahinflog. Unter ihm hatten sich der Igel Stachelchen und Fuchs Listig zum Puzzeln getroffen. Zwitschi warf einen kurzen Blick auf die Pappschachtel des Puzzles, erkannte dass es einen Sonnenuntergang vorstellte, der wahrscheinlich in zehn Jahren noch nicht vollendet war, wenn er die wenigen Teile betrachtete, die die beiden schon zusammengefügt hatten, und wandte sich lustlos ab. Wie konnte man nur stundenlang Teilchen an Teilchen legen, bis endlich das Bild fertig war, das man bereits von der Abbildung auf dem Karton kannte. Da gelangte er zum Taubennest. Guri und Guru saßen auf dem Nestrand, fütterten sich gegenseitig mit Kuchenkrümeln und turtelten zärtlich miteinander. Das war offenbar einer der seltenen trauten Augenblicke, den die beiden Tauben teilten. Zwitschi wollte nicht stören. Da hatte er nun wirklich nichts verloren. Lautlos huschte er an ihnen vorbei. Deshalb entging ihm auch folgender Dialog: "Moment mal Guru, du denkst wohl, ich merke nicht, dass du mir viel zu kleine Bröckchen gibst?", beschwerte sich Guri und sah den Täuberich wütend an. "Na weißt du, ich dachte, kleine süße Krümchen für mein kleines Süßes Täubchen", versuchte es Guru. "Von wegen süßes Täubchen! Lenk bloß nicht ab mit solchen Komplimenten. Du denkst wohl, wenn du mir genug Honig um den Schnabel schmierst, passe ich nicht auf, wieviele Kuchenkrümel du mir in den Schnabel steckst?" "Mitnichten mein Liebchen", erwiderte Guru und lächelte sie an, "aber so ein zartes Taubenkröpfchen wie das deine, ist, wie mir scheint, nicht geschaffen für solche großen Brocken." "Das werden wir ja sehen", schimpfte Guri und machte sich über das restliche Kuchenstück her, ohne Guru auch nur einen weiteren Krümel zu gönnen.

Zwitschi ließ sich unterdessen einfach treiben. Vielleicht konnte er ja die Krokusse zählen. Oder sollte er Stachelchen und Listig doch ein wenig beim Puzzeln helfen? Wie wäre es denn, wenn er sich ein Buch schnappte? Vielleicht das mit den Gruselgeschichten? Klang das alles Langweilig! Plötzlich durchfuhr es Zwitschi wie ein Blitz. Er hatte sich während seiner Ferienzeit noch nicht einmal die Mühe gemacht der Krähe Gundula einen kurzen Besuch abzustatten. Wieso hatte er nicht längst an sie gedacht? Ach ja, sicherlich würde sie die Ferien bestimmt wieder einmal zum Lernen nutzen. In ein paar Jahren wollte sie schließlich das Krähenabitur mit Auszeichnung bestehen. Gundula beim Büffeln zusehen? War das eine aufregende Ferienbeschäftigung? Zwitschi dachte einen Augenblick darüber nach. Ja, wenn er in der Nähe der kleinen Krähe war, pochte sein Herz immer ganz laut vor Aufregung. Eiligst pflückte er eine rosa leuchtende Tulpe und steuerte das Krähennest an. Er legte die Tulpe davor ab und klopfte mit dem Schnabel an die Tür.

„Hallo Zwitschi, das ist ja eine nette Überraschung“, strahlte Gundula den kleinen blauen Vogel an und als sie die Tulpe erblickte fügte sie hinzu: „Soll die für mich sein?“ Zwitschi nickte. Seine Kehle wurde trocken. Am liebsten hätte er „Ja natürlich ist sie für dich, mein süßes Schwarzfederchen“ gesagt, aber es wollte nicht heraus, so sehr er es sich auch wünschte. Der kleine Vogel hatte das Gefühl, dass er gerade eine ganz erbärmliche Figur machte, aber Gundula bedankte sich herzlich für den Blumengruß und bat ihn herein. „Ich lese gerade die spannende Geschichte vom Marienkäfer, der hinaus in die Welt zieht um sich eine Braut zu suchen“, erzählte sie mit vor Begeisterung blitzenden Augen. Zwitschi war überrascht, dass sie nicht bis zur hintersten Feder in ihrem Mathebuch steckte. „Wirklich? Das ist eine meiner liebsten Geschichten! Wenn du willst, können wir sie ja gemeinsam lesen“, sagte er überglücklich und schien völlig vergessen zu haben, dass er diese Geschichte zum Schnarchen langweilig fand, „oder darf ich sie dir vielleicht sogar erzählen?“ Gundula nickte und bot ihm einen Platz an. Zwitschi ließ sich auf dem moosgepolsterten Krähensofa nieder. Gundula setzte sich zu ihm und schmiegte ihr Köpfchen an das seine. „So jetzt kannst du beginnen“, sagte sie leise und Zwitschi erzählte - eine geschlagene halbe Stunde lang. Dabei schlug er ein ums andere Mal aufgeregt mit den Flügeln, vor allem als er an die Stelle gelangte, als der Marienkäfer nur mit knapper Not dem Laubfrosch entkam. Die Geschichte schien die spannendste zu sein, die Zwitschi jemals in einem Buch gelesen hatte. Und Gundula war die beste Zuhörerin, die er sich nur wünschen konnte. Neugierig funkelten ihre braunen Augen, wenn der kleine Vogel eine Kunstpause einlegte, um die Spannung zu steigern. Mit aufgesperrtem Schnabel fieberte sie dem Happy End entgegen und kleine Tränen begannen zu kullern, als der Marienkäfer seine Braut auf sein Ahornblatt nach Hause führte. „Du bist ein wundervoller Geschichtenerzähler! So, und nun werde ich dir eine Geschichte vorlesen“, sagte die Krähe, „wie wäre es mit der von den verzauberten Rosen.“ Zwitschi mochte diese Geschichte nicht, aber wenn Gundula sie vorlas, war das etwas ganz Anderes. „Gerne“, sagte er deshalb. Da fiel der Krähe noch etwas ein: „Wie wäre es zuvor mit einem Apfel?“ „Apfel? Das klingt wunderbar! Ich kann mir nichts köstlicheres denken als einen süßen knackigen Apfel.“ Gundula brachte einen herbei und sie machten sich gemeinsam darüber her. Bei Familie Maulwurf hatte Zwitschi nichts für Äpfel übrig gehabt, aber nun, da er und Gundula am gleichen Apfel herumknabberten, war der Apfel das schönste Obst im ganzen Zauberwald für ihn. Tja, und irgendwie hatte der kleine Vogel wohl auch die Geschichte von den verzauberten Rosen falsch in Erinnerung. Sie war einfach herrlich, als Gundula sie vorlas. Dass er die Geschichte vom Marienkäfer danach sogar noch ein zweites Mal erzählen musste, störte Zwitschi auch überhaupt nicht. Er schwebte auf rosa Wattewolken dahin. Erst spät am Abend, nach einer ausgiebigen Partie Monopoly, verließ der kleine blaue Vogel das Krähennest. „Morgen früh muss ich ein bisschen lernen, du weißt ja, mein Krähenabitur. Komm morgen Nachmittag wieder vorbei, da habe ich dann Zeit für dich!“, rief ihm die Krähe nach, „wir könnten Halma spielen.“ Zwitschi winkte mit den Flügeln und sagte: „Aber natürlich. Halma ist wirklich wundervoll. Kein Spiel liebe ich so sehr wie Halma. Ach ja, und Gundula, vergiss das Puzzle nicht zu suchen, vielleicht kann ich dir ja ein bisschen helfen. Puzzles sind einfach großartig.“ Und leise, damit die Krähe es nicht hören konnte, fügte er hinzu: „Aber bei weitem nicht so großartig wie die Zeit, die ich mit dir verbringen darf, meine schwarze kleine Prinzessin.“ Der kleine Vogel strahlte und sein Herz hüpfte vor Freude. Wie schön, dass noch zwei Ferientage übrig waren, zwei wundervolle schulfreie Tage, die er zusammen mit Gundula verbringen würde. Vielleicht nahm er übermorgen sogar sein Ausmalbuch mit zum Krähennest oder sie zählten gemeinsam die Krokusse und schrieben die Anzahl nach Farben sortiert auf. Das Leben konnte wunderbar sein und vor allem herrlich aufregend!

Beschwingt flog Zwitschi nun zurück zum Zwergenhaus. Im Garten davor traf er auf Willy. Offenbar hatte der Kauz nun endlich ausgeschlafen. Munter zwinkerte er ihm zu und fragte: „Na Zwitschi, wie wäre es mit einem kleinen Wettfliegen?“ Der blaue Vogel schüttelte den Kopf. „Ach verstehe, das ist dir sicherlich zu langweilig“, meinte Willy. „Von wegen zu langweilig. Das ist mir viel zu stressig. Ich muss jetzt nämlich schnell ins Schlafkörbchen. Schließlich brauche ich morgen meine ganze Energie zum Halmaspielen und Puzzeln mit Gundula.“ „Halmaspielen und Puzzeln? Ist denn das das Richtige für dich? Aufregend klingt es ja nicht gerade“, erkundigte sich Willy verblüfft, der von Puh über Zwitschis Langeweile detailliert unterrichtet worden war. „Du hast mir wohl nicht richtig zugehört. Ich sagte klar und deutlich mit Gundula.“ Willy schmunzelte: „Verstehe, das ist natürlich etwas ganz Anderes“, sagte er und flog erleichtert zum Eulentanz. Der Kauz hatte nämlich überhaupt keine Lust zum Wettfliegen mit Zwitschi gehabt, aber Puh hatte ihn so inständig gebeten, den kleinen Vogel müde zu machen, dass er es dem Wichtel nicht abschlagen konnte. Vor allem nicht, nachdem er von Puh für seinen Einsatz im Voraus einen dicken Sahnewindbeutel bekommen hatte. Der Wichtel, der inzwischen mit einem Kreuzworträtsel in Willys Hängematte kämpfte, registrierte Zwitschis Ferienpläne mit Freuden. Nur tat es ihm um den Windbeutel ein Wenig leid, mit dem er Willy völlig umsonst bestochen hatte.