Großschnabel wider Willen

Zwitschi saß zusammen mit seinem Freund Willy Kauz auf der Bank vorm Zwergenhaus und genoss die warmen Sonnenstrahlen. „Sieh mal, da kommen Hüpf und Stachelchen“, rief Willy und zeigte mit seinem Flügel zum Gartentor. Zwitschi senkte seinen Blick und sah den Igel und das Eichhörnchen nun auch. „Sie sind ja überpünktlich“, sagte er und sah wieder zu den vereinzelten Schäfchenwolken hinauf. Wo blieb sie nur? Gundula, die schönste aller Krähen. Endlich sah er sie auf sich zufliegen. „Hallo Gundula“, rief der kleine Vogel schon von weitem und in seinem Bauch tanzten Millionen von Schmetterlingen. „Weißt du, was Puh für eine Überraschung für uns hat?“, fragte das Eichhörnchen voller Neugier und sah zu Zwitschi hinüber, der mit der Sonne um die Wette Strahlte, weil Gundula neben ihm auf der Gartenbank gelandet war. „Ich will ja nicht zu viel versprechen, aber es hat heute Morgen ganz verräterisch nach Mandelhörnchen mit Schokoladenüberzug geduftet“, sagte der kleine blaue Vogel träumerisch. In den Augen der Krähe blitzte es begeistert auf, als sie wiederholte: „Mandelhörnchen mit Schokolade ...“ Da flog die Tür des Zwergenhauses auf und Puh trat in den Garten. Er hatte mehrere kleine Körbchen dabei und stellte sie vor seine Freunde auf den Tisch. Neugierig lugte Stachelchen hinein: „Wo sind denn nun die Mandelhörnchen?“, fragte er enttäuscht. „Woher wisst ihr das?“, erkundigte sich Puh, aber nur um sich selbst darauf zu antworten, „ach ja natürlich, ich hatte ja Zwitschi im Haus. Dem bleibt auch nichts verborgen. Dabei habe ich gedacht, dass er seine ganze Aufmerksamkeit seiner Fußpflege widmet.“ „Tja, ich bin wenigstens in der glücklichen Lage noch Küchengerüche wahrzunehmen, wenn ich mir die Krallen putze, nicht so wie ...“ „... also hört zu“, versuchte Puh ihn zu stoppen und siehe da es gelang, „wenn ihr die Körbchen voller schöner frischer Kräuter für Tees und Salben gesammelt habt, gibt es frische Mandelhörnchen satt für euch alle.“ „Das ist Erpressung“, beschwerte sich Gundula. „Aber eine äußerst köstliche“, lächelte Puh. „Na schön, du hast gewonnen. Was brauchst du alles?“, wollte Willy wissen, dem es in Anbetracht von frischen Mandelhörnchen gar nicht schnell genug gehen konnte. „Zum einen Ringelblumen und Kamillenblüten, zum anderen Schafgarbe, Brennnesseln und Salbei. Ihr seid zu fünft, teilt euch auf in meinem Kräutergarten“, sagte Puh.

„Und du? Was machst du die ganze Zeit?“, fragte Hüpf interessiert. „Ich lege mich auf die Gartenbank, lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen ...“ „Halt, halt“, fuhr Zwitschi aufgeregt dazwischen, „für diese Aufgabe eigne ich mich mindestens genau so gut wie du, wenn nicht sogar besser. Du solltest es statt meiner lieber mit der Kräuterernte versuchen.“ Puh lachte schallend auf. Zwitschi war hereingefallen. Wie lange war es her, seit es ihm zum letzten Mal geglückt war, den kleinen blauen Vogel hinters Licht zu führen. „Ruhig Blut, Zwitschilein! Ich kümmere mich derweil um die Ernte der Lindenblüten, wenn es dich tröstet“, erklärte der Wichtel und schaute zum Lindenbaum hinauf. „Lindenblüten“, wiederholte Willy verträumt, „wieso dürfen wir die nicht ernten?“ „Das ist schnell erklärt: Weil Hüpf, Zwitschi, Gundula und du voriges Jahr auf dem Baum ständig eingeschlafen seid und ich dauernd mit zwei Topfdeckeln klappern musste um euch zu wecken.“ Mit diesen Worten holte der Wichtel eine Leiter. „Mandelhörnchen“, seufzte Stachelchen, „los geh’n wir, die Geschütze, die unser lieber Puh aufgefahren hat, sind einfach zu übermächtig im Geschmack.“ Hüpf, Gundula, Willy und Zwitschi widersprachen dem Igel nicht und folgten ihm in den Kräutergarten.

„Einer muss sich ja den Schnabel ruinieren“, erklärte Willy, „ich übernehme die Brennnesseln.“ „Das wollte ich auch gerade anbieten, aber wenn du unbedingt darauf bestehst“, meinte Zwitschi. „Also so unbedingt nun auch wieder nicht“, gestand Willy. „Du kannst es ruhig zugeben. Ich seh’s dir doch an“, grinste Zwitschi, „für mich findet sich bestimmt eine andere Aufgabe.“ Willy begann sich zu fragen, ob Zwitschi sich tatsächlich freiwillig den Brennnesseln gewidmet hätte und kam zu dem Schluss, dass das eher unwahrscheinlich war. „Weiß einer von euch, wie Schafgarbe aussieht?“, fragte Hüpf. Zwitschi schüttelte den Kopf. Das war also auch nicht sein Bereich. Er überlegte schon, ob er sich mit der Ausrede, keine der Pflanzen zu kennen, vor der gesamten Ernte drücken konnte. „Wie sie aussieht, weiß ich nicht, aber ich weiß wie sie klingt, wenn man sie abzupft“, schmunzelte Stachelchen. „Ich auch, ich auch“, lachte Zwitschi, der für jeden Scherz zu haben war. Und dann ging es los: „Mäh, mäh, mäh!“ „Albernes Volk“, beklagte sich Hüpf. „Ich seh sie, da hinten am Zaun steht sie in voller Blüte“, meldete sich nun Gundula zu Wort und flog auch gleich hinüber. „Die Ringelblumen werde ich pflücken“, bot sich Stachelchen an und verschwand zum Beet mit den leuchtend gelben Blüten. „Und ich kümmere mich um den Salbei“, meinte Zwitschi, „der Salbei ist das Allerwichtigste. Salbeitee hilft angeblich gegen Fußschweiß. Puh trinkt zwei Tassen am Tag von der Brühe. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie furchtbar seine Schuhe ohne den Salbei stinken würden. Gib mir das größere Körbchen von den beiden.“ „Zwitschi, ich kann dir den Salbei nicht überlassen. Kamille mag ich überhaupt nicht leiden. Und deshalb bitte ich dich, übernimm du die Kamillenblütenernte“, bat Hüpf. „Ich mag Kamille auch nicht leiden. Puh gurgelt immer damit und manchmal brüht er sich einen Tee, wenn er Bauchweh hat, aber mir wird regelmäßig übel, wenn ich den Kamillendämpfen ausgesetzt bin.“ „Kann ich dich vielleicht mit irgend etwas überzeugen?“, forschte das Eichhörnchen nach. „Mit ein paar frischen Nussplätzchen eventuell“, platzte Zwitschi heraus, „schließlich bin ich doch ein Eichhörnchenfreund.“ „Abgemacht“, freute sich Hüpf.

Zwitschi suchte sich einen Platz neben Willy. „Weißt du, was Puh mit den ganzen Brennnesseln anstellt?“, fragte ihn sein Kauzenfreund. „Er macht Tee daraus. Der soll gegen Husten helfen. Und ich kann dir sogar erklären, warum das so ist. Der Husten riecht den Tee und ergreift die Flucht, er hat nämlich auch seinen Stolz.“ „Ich sehe, ich habe es mit einem echten Kräuterexperten zu tun“, lachte Willy und fuhr mit seiner Arbeit fort. Zwitschi sammelte Kamillenblüten in sein Körbchen und fand, dass sie gar nicht so übel rochen, wie er sie in Erinnerung hatte, bis ihn Willy unterbrach: „Was machst du da?“ „Ich sammle Kamillenblüten, du großer Gartenfreund“, spottete Zwitschi. „Das denkst aber auch nur du. Das sind Gänseblümchen.“ „Gänseblümchen? Aber die hier haben doch auch weiße Blütenblättchen rund um einen gelben Punkt. Das kann doch keiner unterscheiden.“ „Ja, du vielleicht nicht. Mir fällt es nicht besonders schwer. Immerhin sind sie viel kleiner. Und selbst dir dürfte nicht entgangen sein, dass sie nicht so streng riechen.“ „Dass sie nicht so streng riechen, ist mir durchaus aufgefallen, ich hatte nur gedacht, es wäre eine besondere Züchtung.“ „Ach Zwitschi. da drüben, die großen Blüten sind die richtigen“, erklärte Willy und zeigte mit seinem Flügel darauf. „Aber vielleicht helfen die kleinen süßen hier auch gegen Bauchweh. Die sind bestimmt verwandt mit den großen da drüben“, mutmaßte Zwitschi. „Das bezweifle ich. Aber du kannst gerne die Blütenblättchen von ihnen abzupfen und sie liebt mich, sie liebt mich nicht spielen. Das würdest du doch gerne von Gundula erfahren, stimmt’s?“ Zwitschi wandte sich verlegen ab. Es stimmte zwar, aber was ging es Willy an. Wütend schmiss der kleine blaue Vogel die Gänseblümchen aus seinem Körbchen und machte sich geschäftig über die Kamillenblüten her. „Pfui, eure kleinen zarten Schwestern waren mir viel sympathischer“, beschwerte er sich lautstark. Während er so motzte, schlich sich die freche Grille Amalia ganz in seine Nähe. Sie war von bezaubernd grüner Farbe und Zwitschi bemerkte sie erst einmal nicht. Aber sie hatte den kleinen Vogel schon in dem Moment, als er den Kräutergarten betreten hatte bemerkt. Er gefiel ihr überaus gut. Vor allem sein Sinn für Späße hatte sie fasziniert. Und da sie eine sehr gewitzte Grille war, die überdies festgestellt hatte, dass sie Zwitschis Stimmlage ohne Probleme perfekt imitieren konnte, beschloss sie ihm einen Streich zu spielen.

„Blöde Kamille, stinkt herum wie nicht gescheit“, maulte Zwitschi gerade wieder, als plötzlich eine bezaubernd grüne Grille in seinen aufgesperrten Schnabel schlüpfte. Er versuchte sie hinunterzuschlucken, umsonst. Er riss den Schnabel weit auf und wollte sie wieder hinauslassen. Die Grille zeigte kein Interesse an ihrer Freiheit. „Willy hilf mir, ich hab was im Schnabel“, jammerte Zwitschi. „Das hast du doch ständig. Ich sehe da keinen Unterschied“, der Kauz nahm ihn nicht ernst. „Willy schwenk deinen fetten Hintern gefälligst in die andere Richtung und wende mir deinen Schnabel zu, wenn du dich mit mir unterhältst“, schnarrte es aus Zwitschi heraus. Brüsk drehte sich Willy herum: „Fetter Hintern, du hast es gerade nötig.“ „Das hab ich doch gar nicht gesagt, ich weiß auch nicht wie das aus mir rauskam“, war der kleine blaue Vogel verblüfft. Konnte es sein, dass es Zauberwaldgrillen gab, die seine Stimme imitieren konnten? Offenbar schon denn: „Wahrscheinlich lag es mir schon so lange im Schnabel, ich glaube, es wollte mal gesagt werden“, ging es munter weiter, ohne dass Zwitschi etwas dagegen unternehmen konnte. „Wie Bitte!“, schnaubte Willy beleidigt. „Ich finde eben, dass du einen fetten Hintern hast“, brach es lautstark aus Zwitschi heraus. Der kleine Vogel zog den Kopf ein und schlug die Flügel darüber zusammen. Was sollte er nur tun? Sobald er den Schnabel aufmachte und etwas sagte, plapperte Amalia, die sich offenbar sehr wohl bei ihm fühlte, einfach dazwischen und blamierte ihn bis auf die Knochen. Zum Glück hatte Willy beschlossen ihn einfach zu ignorieren und Zwitschi unternahm auch keinen weiteren Versuch mehr den Kauz von seiner Unschuld zu überzeugen. Denn das, so vermutete er, würde ohnehin nur wieder in einer Katastrophe enden. Auch Amalia verhielt sich still. Sie lauerte auf eine günstige Gelegenheit, ihr einzigartiges Talent noch einmal zuzeigen.

Da krächzte es freundlich: „Seid ihr schon fertig? Ich für meinen Teil habe genügend Schafgarbe im Körbchen und meinetwegen kann es zu den Mandelhörnchen gehen.“ Gerade wollte Zwitschi erwidern, dass er mit diesem Vorschlag einverstanden war, da: „Hallo Gundi, mein schwarzes kleines Schätzchen, wie sieht’s aus, liebst du mich so sehr, wie ich dich liebe?“ Oh nein! Wer hatte das gesagt! Doch nicht etwa Zwitschi? Wie peinlich. Es hatte zumindest genau wie er geklungen. Aber so plump hätte er die hübsche kleine Krähe nie angeflirtet. Dafür war er viel zu schüchtern. Hoffentlich wusste das Gundula auch. Verflixt und zugefedert noch mal! Es war diese dusselige Grille, die so ungehörig mit seiner Liebsten gesprochen hatte. Stellte sich nur noch die Frage, wie er Gundula davon überzeugen konnte. Die Krähe riss entsetzt die Augen auf und starrte Zwitschi an. Der murmelte verlegen: „Entschuldige, das war ich nicht.“ „Immer will er nichts gewesen sein“, beschwerte sich Willy, „zu mir hat er vorhin noch gesagt, dass ich einen fetten Hintern habe.“ Gundula wandte sich dem Kauz zu: „Hat er das wirklich?“, fragte sie verwundert. „Ja das hat unser Willy wirklich“, schnarrte Amalia aus Zwitschi, „den fetten Hintern.“ „Wer hat dich denn gefragt“, fuhr Gundula den kleinen Vogel an. Zwitschi wünschte sich sehnsüchtig weg von hier, egal wohin, einfach nur ganz weit weg. Aber es half nichts: „Reg dich nicht so auf, mein süßes Schwarzfederchen und schau mal zu mir rüber, da siehst du was, das dir gefällt.“ Entrüstet drehte sich Gundula zu Zwitschi herum. „Das war ich nicht, glaubt mir doch, bitte, so etwas würde ich nie sagen.“ „Aber manchmal lässt man seine Gedanken sprechen“, sprach Amalia in Zwitschis Stimmlage weiter. Der kleine blaue Vogel schüttelte verzweifelt den Kopf. Gundula und Willy flogen wortlos zu Stachelchen und Hüpf, die mit den Körben am Gartentor warteten. „Nehmt mich mit“, rief Zwitschi und wollte gerade sein Körbchen schnappen, als er Amalia sagen hörte, „hinter Willy fliege ich besser doch nicht her. Sein dicker Hintern nimmt mir die ganze Sonne.“ Auweia. Die Grille musste weg, bevor sie noch größeres Unheil anrichten konnte. Aber wie konnte er sie loswerden? Zwitschi schüttelte den Kopf und riss dabei den Schnabel weit auf. „Schöne Aussicht“, schnarrte Amalia mit Zwitschis Stimme und streckte einen ihrer Füße so weit vor, dass er Zwitschi im Nasenloch kitzelte. „Mach dich sofort raus da“, schimpfte er, „du blamierst mich vor meinen Freunden.“ „Ich bleibe viel lieber drin und mach’s mir ein wenig lustig. Schließlich ist es hier so schön gemütlich und ich sehe keinen Grund das Feld zu räumen.“ „Das werden wir ja noch sehen“, murmelte Zwitschi und fraß in seiner Not eine Kamillenblüte und versuchte Amalia hinunterzuwürgen. Die wich dem Blütenbrei aber geschickt aus und war noch immer frisch und munter. Vielleicht sollte er die Grille mit einem von Puhs köstlichen Mandelhörnchen hinunterschlingen. Es kam zumindest auf einen Versuch an. Zwitschi schnappte nun sein Körbchen und gesellte sich zu den anderen, die ihn lautstark riefen, da sie endlich zurück zum Zwergenhaus wollten. Als er bei ihnen anlangte, stand sein Schnabel so weit offen, dass Amalia den kleinen Igel erblicken konnte. Sofort prustete sie los: „Na Stachelchen, hast du Ringelblumen gesammelt? Da kannst du jetzt endlich deine harten Borsten streichelzart pflegen.“ „Was sagst du da?“, fragte der Igel und musterte den kleinen blauen Vogel verwirrt. „Hör endlich auf, uns alle zu beleidigen“, fuhr ihn Willy an. „Das sagt er nur, weil er die Wahrheit über seinen gewaltigen Hintern nicht verträgt“, kam es aus Zwitschi. „Zwitschi, was soll das?“, auch Hüpf war sehr verwundert. „Das bin ich nicht, das ist ...“, verteidigte sich der Vogel, „... ich doch“, verbesserte ihn die freche Grille. Zwitschi zog das Köpfchen ein. Am liebsten hätte er sich im Brennnesselbeet eingegraben. Doch gerade als er davonfliegen wollte, hörte er sich sagen: „Wir müssen noch zu diesem schon fast in seinem Fußschweiß ertrinkenden Wichtel und ihm die Kräuter bringen.“ „Zwitschi!“, Stachelchen rümpfte die Nase. „Das bin ich nicht, glaubt mir doch ...“, versuchte es der Vogel erneut. „... oder lasst es lieber bleiben, Ich bin es nämlich doch“, schnarrte die vorlaute Grille. „Habt ihr es auch gesehen? Unser Zwitschi scheint es wirklich nicht zu sein“, sagte Gundula, „sein Schnabel war kein bisschen in Bewegung und trotzdem hat es geklungen, als ob er spricht.“ „Das sagst du ja nur, weil Zwitschi vom Kopf bis zu seiner hinterletzten Schmuckfeder in dich verliebt ist und deinen Hintern nicht als fett bezeichnet hat“, maulte Willy und flog zurück zum Zwergengarten. Zwitschi wurde rot. Klasse, jetzt wussten es auch noch Hüpf und Stachelchen, dass er für die Krähe schwärmte. Und zu allem Überfluss posaunte Amalia unüberhörbar heraus: „Gundula hat ja im Gegensatz zu dir wenigstens ein schickes Popöchen.“ Die Krähe blickte verlegen zur Seite. Zwitschi hätte sich am liebsten ein Erdloch gegraben und wäre darin versunken. Aber das ging nicht. Am Besten er brachte Puh erst einmal die Kamillenblüten. Vielleicht begriff ja der Wichtel in welcher schlimmen Lage sein gefiederter Mitbewohner steckte.

Bald darauf waren sie alle im Zwergengarten versammelt. Willy brachte ein Körbchen mit Brennnesseln, Stachelchen eins voller Ringelblumen, Hüpf hatte den Salbei dabei, Gundula die Schafgarbe und Zwitschi die Kamillenblüten und ... tja, leider auch Amalia: „Hallo Puh, alter Stinker, das Salbeikörbchen ist das größte. Da können wir uns auch im nächsten Jahr noch in die Nähe deiner Füße trauen“, schnarrte sie mit Zwitschis Stimme. Puh erschrak. Zwar war er von Zwitschi einiges gewohnt, aber diese Beleidigung traf ihn mit Wucht. Vor Schreck wäre er beinahe von der Leiter gesegelt. Geistesgegenwärtig hielt sich der Zwerg an einem starken Ast fest und atmete erst einmal tief durch. Dann stieg er mit zitternden Knien die Leiter hinab. Das wäre fast noch schief gegangen. Und wer war daran schuld? Zwitschi! „Was fällt dir ein!“, wütend nahm er sich den kleinen blauen Vogel zur Brust. „Das ist mir nicht eingefallen, glaube mir“, sagte Zwitschi verzweifelt, „das habe ich über all die Jahre, in denen ich mit dir zusammenwohne, studiert“, ergänzte Amalia. „Bitte Puh, ich bin das nicht, das ist eine ...“, versuchte es Zwitschi erneut. „... komische Sache mit deinen Füßen, in deinen Schuhen steht ja manchmal regelrecht die Brühe. Salbei ist vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss“, plapperte die Grille weiter. „Halt doch endlich die Klappe!“, schrie Zwitschi sie an und stieß die Luft aus in der Hoffnung, Amalia würde sich nicht mehr halten können. Die anderen sahen seinen Bemühungen gespannt zu. Amalia rutschte tatsächlich etwas auf den Ausgang zu, sprang aber wieder zurück. Nun hatte auch Puh bemerkt, dass sich in Zwitschis Schnabel etwas bewegt hatte. Und auch Gundula krächzte aufgeregt: „Seht ihr, ich habe mich vorhin nicht getäuscht. Unser liebes Blaufederchen ist nämlich gar nicht so großschnablig.“ Zwitschi ging das Herz auf. Sie hatte ihn Blaufederchen genannt. Wie schön das aus ihrem Schnabel klang. Und auch Hüpf hatte Notiz von Amalia genommen: „Seht mal, in Zwitschis Schnabel hockt eine Grille“, rief das Eichhörnchen. Nur Willy sagte: „Na so ein großer Unterschied zu sonst ist das trotzdem nicht.“ Dabei schmunzelte er aber und strich Zwitschi entschuldigend übers hübsche Köpfchen. „Und was nun?“, fragte Stachelchen. Da hatte Puh eine Idee: „Zwitschi, du sagtest doch, dass die Wirkung von Salbei bei meinem Fußschweiß eher zu bezweifeln ist. Ich fürchte, du hast recht. Aber keine Sorge, vorhin habe ich in der Zeitung gelesen, dass Apfelminze ein gutes Hausmittel sein soll. Schnapp dir ein Körbchen und guck dich auf der Waldwiese um. Da steht jede Menge davon.“ Zwitschi nickte. Er ahnte, dass etwas anderes hinter dem Auftrag des Wichtels steckte, denn Apfelminze war allenfalls magen- und nicht nasenschonend. Auf jeden Fall setzte er sich in Bewegung. Hoffentlich ging Puhs Plan auf. Schließlich war sein Schnabel auch ohne Amalias gütige Mithilfe vorlaut genug.

Auf der Waldwiese war das schönste Grillenkonzert im Gange. Die Männchen gaben ihr bestes und zirpten in den schönsten Tönen, um die Weibchen zu beeindrucken und anzulocken. Es dauerte nur ein paar Sekunden, da schmolz Amalia dahin. Ihr Grillenherz stand in Flammen: „Lass mich sofort raus, ich muss ganz dringend zu den heiratswilligen Männchen!“, verlangte sie von Zwitschi und schob ihre Füße in Richtung Schnabelspitze. Doch der kleine Vogel dachte nicht daran den Schnabel so weit zu öffnen, dass sie herausschlüpfen konnte. So leicht wollte er es der Grille nun auch wieder nicht machen. Amalia klopfte nun sanft dagegen. „Ach mach schon auf, die Lockrufe der Männchen machen mich noch ganz verrückt“, bat sie inständig. Zwitschi schwieg eisern und scherte sich kein Bisschen darum. Schließlich hatte sie ihn ja auch die ganze Zeit verrückt gemacht. Dieser kleine süße Racheakt tat gut. Er war zwar nicht ganz so süß wie Gundula, wenn sie ihn Blaufederchen nannte, und Puhs Mandelhörnchen, von denen ihm die anderen hoffentlich noch ein paar übrig gelassen hatten, wenn er erst zurückgekehrt war. Aber er stimmte ihn ein bisschen fröhlicher. „Ach komm schon, bitte lass mich gehen“, winselte die Grille. Zwitschi dachte daran, wie sehr Amalia Willy, Gundula, Stachelchen und Puh in seinem Namen beleidigt hatte. Er sah zur Walduhr hinüber und dachte: Zehn Minuten kannst du ruhig noch warten. Als ich dich loshaben wollte, bist du nicht gegangen. Und nun hab’ ich jede Menge Zeit. Schließlich will ich im Gegensatz zu dir kein Grillenmännchen erobern. Hoffentlich haben dir die anderen Weibchen die besten Männchen schon weggeschnappt. Amalia spazierte nervös in seinem Schnabel auf und ab. Sie klopfte und bat, tobte und schrie, wimmerte und winselte. Zwitschi genoss es sichtlich. Da waren die zehn Minuten herum. Der kleine Vogel fand, dass sie viel zu schnell herum waren. Wenn wir allerdings Amalia gefragt hätten ... Zwitschi sperrte den Schnabel weit auf und die Grille schlüpfte hinaus in die Freiheit. „Willy Kauz hat ‚nen Fetten Hintern, Zwitschi ist in Gundula verliebt und Puh leidet an Fußschweiß“, berichtete sie ihren Artgenossen. Doch die schenkten ihren Geschichten keinerlei Beachtung und ließen sie einfach stehen.