Fliegender Ärger

Überfall im Eulennest! Ein mieser kleiner Eindringling hatte sich unerlaubten Zutritt zu Agathes Behausung verschafft. Die Eule gab sich kampfeslustig. Sie war wild entschlossen ihr Nest zu verteidigen - koste es, was es wolle. Die Zeichen standen auf Krieg! Und hier ist sie nun, die Geschichte des aufopferungsvollen Kampfes der Eule Agathe gegen eine Fliege namens Sumsi.

Sumsi war durch den warmen Zauberwald geflogen, und auf der Suche nach Abkühlung im Eulennest gelandet - zu ihrem Pech, ausgerechnet auf dem letzten Bissen von Agathes Honigbrot. Die Eule sah den leckeren Fliegenhappen mit leuchtenden Augen an. Und weil der Honig so schön klebte, dachte sie: "Diese fette Fliege ist mir sicher." Gerade wollte sie Sumsi in ihren Schnabel befördern, als diese sich doch noch davon machte. So wanderte das Brot ohne Fliege in den Eulenschnabel. Agathe weinte Sumsi keine Träne nach. Im Gegenteil, sie hoffte sogar, dass die Fliege vor Schreck aus dem Eulennest gesummt war. Für ein Frühstück ohne Störung verzichtete sie gern auf die kleine mit Honig überzogene Fleischbeilage.

Agathe biss genüsslich in einen Apfel, ohne einen weiteren Gedanken an Sumsi zu verschwenden. Doch der Traum von der aus dem Nest geflohenen Fliege zerplatzte jäh. Schon bald konnte die Eule ein freudiges Summen an der Gardine vernehmen. Sumsi war immer noch da. Agathe wurde hart mit der Wirklichkeit konfrontiert. Und schon flog Sumsi ihr um den Kopf, kreiselte um ihre Ohren und setzte sich frech auf ihren Schnabel. Aus ihrer Frühstücksruhe gerissen, schüttelte sich die Eule so wild, dass ihr schwindlig wurde. Dabei errang sie einen unerwarteten Teilsieg. Sumsi verlor das Gleichgewicht und stürzte auf Agathes Teller. Benommen streckte die Fliege die Beinchen von sich. Auch Agathe war etwas benommen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Nest schwankte. Doch sie sah sich im Vorteil, ihre Gegnerin lag am Boden. Mit lautem Triumphgeheul riss die Eule den Schnabel weit auf und schnappte nach ihr. Sumsi entkam im letzten Augenblick. Agathe hackte in ihren schönsten Teller. Der Erfolg war durchschlagend. Das Reh in der Tellermitte stand ziemlich kopflos auf der Wiese. Wutentbrannt hüpfte Agathe von ihrem Stuhl und verfolgte Sumsi durch ihr Nest. Die Fliege hatte ein erstes Opfer gefordert und die Eule sann auf Rache.

Eine wilde Jagd begann. Zuerst ging es rund um den Küchentisch. Dann verfolgte Agathe die Fliege quer über das Bücherregal bis in ihre Schlafecke. Tintenfass und Leselupe gingen dabei zu Bruch. Sumsi blinzelte frech und ließ sich lautstark summend auf das Bett der rasenden Eule sinken. Diese stürzte, ohne zu überlegen, hinterdrein und hatte so viel Schwung, dass sie sich ihren Kopf an der Wand stieß. Laut aufwimmernd plumpste sie in die Kissen. "Mir wird ganz komisch, alles dreht sich, mein Kopf explodiert gleich", keuchte sie völlig außer Atem, "soll diese dumme Fliege machen, was sie will. Ich werde einfach nicht hinhören und die Sterne vor meinen Augen genießen." Ein regelmäßiges Brummen holte Agathe aus ihrer Ohnmacht. Sie brauchte etwas Zeit, um sich wieder zurechtzufinden. Was tat sie eigentlich auf ihrem Bett? Ein kalter Schauder überlief sie, als ihr die Fliege wieder einfiel. "Warte du Mistvieh, dir werd' ich's geben", schimpfte die Eule. Sumsi musste weg, egal wie! Mit wild flackernden Augen schaute sich Agathe im Nest um. Wo zum Kuckuck mochte die verflixte Fliege bloß stecken? Da war sie ja. Sumsi saß auf der Butter und blinzelte ihr schon wieder frech zu. Die Eule wurde langsam richtig sauer, sauste zu ihrer Butterdose und schlug mit einem ihrer Flügel nach Sumsi. Die Fliege schreckte hoch und entschwand. Agathe aber landete in der Butter und war in den nächsten Minuten damit beschäftigt, ihr Gefieder zu putzen. Als die freche Sumsi die geplagte Eule sah, setzte sie sich ihr auf den Fuß. Die arme Agathe hatte alle Mühe sich zu ihr hinunterzubeugen. Als sie bedrohlich nahe heran war, brachte sich Sumsi auf ihrem Kopf in Sicherheit und Agathe biss sich in eine ihrer Krallen. Nun machte sich Sumsi einen Spaß daraus, vor ihrer Nase auf und ab zu tanzen. Immer wieder riss Agathe voller Hoffnung den Schnabel auf, erwischte aber nichts als Luft und wahrscheinlich die ein oder andere Staubflocke. Als Sumsi auf der Gardinenstange herumbalancierte, stürzte sich die Eule erneut auf sie. Krachend polterte die Gardinenstange samt Eule zu Boden. Agathe musste sich nun unter ihren Vorhängen hervorwühlen. Unter Ächzen und Fluchen gelang es ihr endlich. Sumsi hatte es sich inzwischen bei Agathes Kräutertinkturen gemütlich gemacht. Die Eule schäumte vor Wut. Im Steilflug griff sie die Fliege an. Mehrere Fläschchen gingen dabei zu Bruch. Nur Sumsi nicht, die saß munter auf einem Alpenveilchen und blinzelte Agathe frech zu. "Wenn ich dich kriege, reiße ich dir jedes Bein und jeden deiner Flügel einzeln aus. Und wenn du mich dann immer noch frech anblinzeln solltest, wirst du in Olivenöl eingelegt und mit Käse überbacken!", schrie Agathe. Doch diese wüsten Drohungen beeindruckten Sumsi überhaupt nicht. Inzwischen begutachtete sie die Teekanne der Eule. Agathe änderte jetzt ihre Taktik. Vorsichtig schlich sie sich an Sumsi heran. Doch die Fliege bemerkte den Luftzug und rettete sich auf den Nestrand. Dort stolzierte sie fröhlich auf und ab und blinzelte noch immer frech. Als die arme Eule nach ihr schnappen wollte, flog sie weg. Agathe aber verlor das Gleichgewicht und fand sich auf Moosgrünchen wieder.

Dort lag sie völlig erschöpft und sah abermals einen wahren Sternenregen, bevor sie erneut ohnmächtig wurde. Sumsi hatte sich aus dem Staub gemacht. Von ihrer Wenigkeit war nichts mehr zu sehen. Als Punktinchen auf der Suche nach saftigen Gräsern des Weges kam, sah es die total geschaffte Eule auf dem Moos liegen. "Was ist denn mit dir los? Hast du etwa einen Baum geküsst?", wollte das sanfte Reh wissen. Agathe warf Punktinchen einen bitterbösen Blick zu und erzählte ihm die Geschichte, die ich euch vorhin auch erzählt habe. Punktinchen lachte über die Erzählung der Eule, während diese vor Wut kochte. Das konnte das Reh ganz deutlich an den Dampfwolken sehen, die aus Agathes Ohren krochen. Vorsichtshalber ging Punktinchen ein paar Schritte zurück. "Ich finde das nicht komisch", beschwerte sich Agathe und strich sich prüfend über eine dicke Beule an ihrem Kopf. "Entschuldigung", Punktinchens schlechtes Gewissen meldete sich. "Komm mit mir, ich lade dich auf einen Tee und ein Stück Kuchen ein", schlug das Reh vor. Das ließ sich hören. Agathe stellte das Jammern ein und nahm die Einladung dankend an, denn sie konnte eine Stärkung dringend gebrauchen.

Im Moosunterschlupf war es sehr gemütlich. Überall lagen weiche Graskissen und Moosdecken. Punktinchen brachte ein Tablett mit den gefüllten Teeschalen und einen großen Teller frischen Streuselkuchen. Die Eule langte kräftig zu und das Reh hatte schon Angst, dass der Kuchen nicht reichen würde. So sehr hatte diese vermaledeite Fliege Agathe geschafft. Da wurde ihre Ruhe durch ein leises Summen gestört. Niemand anderes als Sumsi hatte sich zum gemütlichen Teestündchen eingefunden. Und nun begann sie von Neuem die arme Eule zu umschwirren. Aber auch das Reh untersuchte sie aufmerksam. Doch anders als Agathe störte sich Punktinchen nicht im geringsten daran. Ruhig ließ es Sumsi auf sich sitzen. Als die Fliege merkte, dass sie das Reh nicht ärgern konnte, flog sie wieder zu Agathe und kroch ihr ins Ohr. Die Eule drehte den Kopf wild in alle Himmelsrichtungen und die freche Fliege konnte sich nicht mehr halten. Sie stürzte kopfüber in Agathes Pfefferminztee. Nun war sie gefangen. Sumsi strampelte mit ihren Beinchen und schwamm verzweifelt um ihr Leben. Doch Agathe hatte die Nase nun endgültig voll. Sie stürzte den Tee samt Fliege in einem einzigen Zug hinunter. "Jetzt hast du endlich ausgeblinzelt. Du warst zwar klein, aber geschmacklich ganz groß", murmelte sie zufrieden und strich sich mit ihren Flügeln über ihren vollgefressenen Bauch. Das war das Ende von Sumsi und auch von dieser Geschichte, denn so ganz ohne Fliege kann ich sie nicht weitererzählen.