Arbeitsteilung

„Toll hast du das gemacht Zwitschi“, schimpfte der kleine blaue Vogel mit sich selbst, „weil du Puhs Teetasse in einen Haufen Scherben verwandelt hast, musst du nun die Johannisbeeren von den kleinen Stängeln streifen.“ Mürrisch saß Zwitschi vor einer riesigen Schüssel frisch gepflückter schwarzer Johannisbeeren und rümpfte den Schnabel. „wenn sie wenigstens schmecken würden! Ach dürfte ich doch die Würmer aus den Himbeeren lesen. Das wäre eine Aufgabe für mich. Aber Puh, der schlaue Wichtel, hat mich durchschaut und weiß genau, dass nicht nur die Würmer verschwinden würden.“ Zwitschi trippelte auf dem Tisch herum und sortierte die abgepflückten Beeren in eine zweite Schüssel. Da klopfte es an die Tür. „Jetzt bin ich auch noch der Portier. Moment, ich komme gleich!“, rief Zwitschi und flog auf die Klinke. „Hallo Zwitschi“, begrüßte ihn die Eule Agathe und sah ihn überrascht an. Ein kleiner Zweig Johannisbeeren hing ihm aus dem Schnabel. „Hallo Agathe“, begrüßte Zwitschi die Eule und die Beeren fielen zu Boden. „Ist Puh zu Hause?“, fragte die Eule. „Nein, der schwimmt im Waldsee oder lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen.“ „Und du hilfst ihm bei der Hausarbeit. Das finde ich sehr nett von dir“, lobte die Eule. „Was heißt hier nett, das ist meine Strafarbeit für eine zerbrochene Teetasse, wohl gemerkt für eine einzige Tasse. Ganz schön streng dieser Wichtel“, jammerte Zwitschi, „man könnte meinen, ich hätte das ganze Service zerstört.“ Er hoffte in Agathe eine Verbündete zu finden. Aber die lächelte nur milde und sagte: „Ich finde es jedenfalls sehr erfreulich, deinen frechen Schnabel mal etwas Sinnvolles tun zu seh'n.“ „Hat dich Puh zu meiner Überwachung geschickt? Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Schließlich dreht sich mir der Magen um von diesen schwarzen Dingern.“ „Ich will dich nicht kontrollieren. Ich wollte Puh nur fragen, ob er meinen Rosenstock unterm Eulennest gießen würde. Ich möchte für drei Tage meine Großmutter besuchen.“ „Das macht er bestimmt. Ich sag's ihm, wenn er nach Hause kommt. Und wenn Puh keine Zeit hat, übernehme ich das.“ „Das ist lieb von dir Zwitschi“, verabschiedete sich die Eule und flog davon. „Was hab' ich da gesagt?“, dachte der kleine Vogel, „ich übernehme das? Was ist denn heute bloß mit mir los. Das müssen die Aromastoffe dieser verflixten Beeren sein. Die machen mich noch ganz kirre. Hoffentlich hat Puh Zeit, sonst habe ich mich gerade in die nächste sinnvolle Tätigkeit hineinmanövriert. Das passt gar nicht zu mir.“ Zwitschi machte sich wieder an die Arbeit. Er wollte fertig sein, bevor der Zwerg zurückkam. Dann hatte der sicherlich so gute Laune, dass er Agathes Rosen gern versorgte.

„Schon fertig?“, fragte Puh erstaunt, als er zurückkehrte. „ja, war gar kein Problem, würd' ich jederzeit wieder machen“, sagte Zwitschi stolz, „übrigens Agathe bittet dich ihren Rosenstock zu gießen, da sie für drei Tage ihre Großmutter besucht. Wenn du aber keine Zeit haben solltest, dann übernehm' ich das. Hab' ich das grad' gesagt?“ „Hast du Zwitschi“, bestätigte Puh. „Ob mir doch das schlechte Gewissen aus dem Schnabel gerutscht ist? So etwas würde ein Zwitschi doch nicht sagen. Vielleicht bin ich Puh in letzter Zeit doch ein wenig zu sehr auf der Nase herumgetanzt“, überlegte der kleine Vogel. „was ist denn eigentlich in dich gefahren?“, war der Zwerg überrascht, „von so einem großzügigen Angebot hätte ich nicht zu träumen gewagt.“ „Was für'n Angebot“, versuchte sich Zwitschi herauszuwinden. Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, was sein Schnabel von sich gegeben hatte. „Keine Sorge, ich kümmere mich um die Rosen“, lachte der Wichtel. Zwitschi atmete erleichtert auf. Hoffentlich kam er bald wieder auf die richtige Spur. Nicht, dass er dem Wichtel noch anbot, dessen Gummistiefel zu putzen oder die Pfefferminze für den Winter zum Trocknen aufzuhängen.

Als der Wichtel etwas später in den Garten gegangen war, um den Geräteschuppen aufzuräumen, trainierte der Vogel vor dem Spiegel: „Ich bin Zwitschi und Zwitschi meldet sich nie freiwillig zum Arbeiten, es sei denn, er erhält eine extragroße Portion Sonnenblumenkerne. Das muss aber die einzige Ausnahme bleiben.“

„Geschafft“, stöhnte Puh drei Stunden später und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. „Hallo Puh, hast du Ordnung gemacht?“, fragte Pünktchen und näherte sich neugierig. „Hab' ich, du glaubst gar nicht, wie anstrengend das war. Nun müsste ich nur noch Agathes Rosen gießen. Würdest du das nicht übernehmen?“ „Kein Problem“, sagte das Reh und trabte davon. Beim Eulennest angekommen, sah es, dass der Rosenstock dringend Wasser brauchte. Er hatte wohl den ganzen Tag in die Sonne geblinzelt. Die Gießkanne war aber leer. „Da habe ich mir ja was Schönes aufgehalst“, brummelte das Reh, „bis zum Waldsee ist es viel zu weit zu laufen.“ Da erblickte es Hüpf. „Hallo Hüpf, Agathe bittet dich ihren Rosenstock zu gießen“, sagte es zum Eichhörnchen. „Wirklich?“, war Hüpf verwundert, „das höre ich jetzt zum ersten Mal.“ „Doch, doch, sie will diese verantwortungsvolle Aufgabe nur einem verlässlichen Waldbewohner wie dir übertragen. Deshalb darf ich sie leider nicht übernehmen.“ „Wenn Agathe meint, ich wollte allerdings ...“ „das musst du jetzt eben zurückstellen“, empfahl das Reh und verschwand.

„Das Süpplein, das du mir eingebrockt hast“, murmelte Hüpf, „werde ich bestimmt nicht auslöffeln. Wer sagt's denn! Da kommt ja Stachelchen.“ „Hallo Hüpf, was machst du hier beim Eulennest?“, fragte der Igel. „Ich wollte gerade die Blumen gießen. Eigentlich wollte Agathe ja lieber, dass du das übernimmst, sie konnte dich aber nicht antreffen und es dir sagen.“ „Kann schon sein, ich war heute auf Insektenjagd im Sumpf. Eigentlich bin ich ja mit den Hasen zum Kartenspielen verabredet, aber wenn es sich Agathe so wünscht ...“ Hüpf war schon längst verschwunden. Er war froh, dass er sich dieser Aufgabe so schnell entledigt hatte. Der Igel war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass er von Hüpf übers Ohr gehauen worden war. Aber er beschloss sich in sein Schicksal zu fügen. Als er aber in die Kanne schaute, bemerkte er, dass sie leer war. „Och nö, jetzt noch zum Waldsee, keine Lust. Aber, was hab' ich gerade für ein Glück. Da kommt ja Gundula.“ „Hallo Stachelchen“, krächzte die freundliche Krähe. „Hallo meine Liebe, sieh dir mal den armen Rosenstock an, der vertrocknet ja gleich.“ „Stimmt“, bestätigte die Krähe. „Ich würde ihn ja gerne selber gießen, aber ich muss noch für eine wichtige Mathearbeit lernen“, redete sich der Igel heraus. „Wenn dem so ist, dann werde ich ihn begießen“, sagte Gundula, aber Stachelchen hörte es nicht mehr. Der war so schnell ihn seine Igelbeine tragen konnten, davon geflitzt.

„Ich glaube, ich bin gerade dieser kleinen Stachelkugel auf den Leim gegangen. Die Kanne ist ja leer. Da müsste ich ja zum Waldsee fliegen und Wasser holen. Nö, ich verrenke mir doch nur den Schnabel, wenn ich diese Kanne so weit schleppe. Das ist nicht gut für eine Krähe. Ach, da ist ja Listig, mal sehen, ob ich ihn überlisten kann.“

„Hallo Listig“, sagte Gundula und verdrückte eine Träne im Augenwinkel, „ich muss diese Rosen gießen, aber ich habe gerade einen Schnabelkrampf und kann die schwere Wasserkanne nicht hoch kriegen.“ „Das tut mir leid“, sagte der Fuchs, „ich übernehme es für ... wo bist du denn hin?“ Als er die Gießkanne anhob, bemerkte er, dass sie leer war. „Von wegen Schnabelkrampf! Das Mistvieh hat mich reingelegt“, knurrte er wütend. Trotzdem begab sich der Fuchs mit der Kanne zum Waldsee und schöpfte Wasser. „Ganz schön schwer, das schleppt sich bis zum Eulennest, ich muss mich erst mal stärken.“ Nachdem er zwei Mäuse und eine Ratte verputzt hatte, wurde es langsam dunkel. „Was bin ich müde“, gähnte er und legte sich ins Gras.

„Huhhu“, wurde Listig in der Morgendämmerung von Willy, dem Kauz, geweckt. „Was hab' ich lange geschlafen“, wurde er munter und streckte seine Pfoten, „nach einem so erquickenden Schlaf wird es Zeit fürs Frühstück. Willy würdest du die Kanne da zum Eulennest tragen und Agathes Rosenstock begießen?“, fragte Listig. Der Kauz war einverstanden. Doch bald verging ihm die Lust auf Gartenarbeit. Er verteilte das ganze Wasser über den Waldboden und war mit sich zufrieden: „Erstaunlich, wie leicht mir das vom Schnabel ging. Vielleicht bahnt sich das Wasser ja einen Weg zum Rosenstock.“ Da begegneten ihm die Hasen und so ging er lieber auf Nummer sicher. „Hört mal, würdet ihr zum Waldsee laufen und eine Kanne Wasser für Agathes Rosenstock holen?“ Die Hasenkinder waren glücklicherweise guter Laune und sofort bereit. Darüber zeigte sich Willy sehr erleichtert und flog zu seiner Kastanie..

Als Schnuffi, Langöhrchen und Spitznäschen allerdings am Waldsee waren, vergaßen sie das Versprechen und spielten Fangen. Da näherte sich Punktinchen. Als das Reh die Gießkanne sah, erkundigte es sich: „Was soll denn hiermit werden?“ „Ach damit sollten wir Wasser für Agathes Rosenstock holen und ihn begießen.“ „Ich sehe, auf euch ist kein Verlass, ich übernehme das“, sagte das Reh bestimmt. Es schöpfte Wasser und begab sich geradewegs zum Eulennest. Es war bereits später Nachmittag und die Rosen ließen traurig ihre Köpfe hängen. „Oje, diese Hasenkinder“, schimpfte es und begoss den Rosenstock. Doch es war nichts mehr zu retten. Auch am nächsten Tag kümmerte sich Punktinchen so gut es konnte um die Rosen. Es half nichts. Und als am dritten Tag die Eule zurückkehrte, fand sie alles verdorrt vor, obwohl der Boden ausreichend Wasser hatte. „Komisch“, sagte sie, „ich muss einmal Puh fragen, wie das zugegangen ist.“

„Was ist mit meinen Blumen passiert“, fragte sie den Wichtel, der auf seiner Bank saß und in einem Liebesroman schmökerte. „Keine Ahnung, ich hab' Pünktchen gesagt, er soll sie gießen.“ „Und ich habe es Hüpf gesagt, er wollte es unbedingt selber übernehmen.“ Und so begann die Eule ihren Zauberwaldrundflug - von Hüpf zu Stachelchen, von Stachelchen zu Gundula, von Gundula zu Listig, von Listig zu Willy, von Willy zu den Hasen und von den Hasen zu Punktinchen, das sich als Einziges um die Rosen gekümmert hatte. Als der Faden zu Ende gesponnen war, suchte Agathe wieder den Ausgangspunkt auf.

„Wie konntet ihr nur“, war sie enttäuscht. Und Puh senkte schuldbewusst den Blick. „Tut mir leid, glaub' mir, ich hatte gedacht auf Pünktchen wäre Verlass.“ „Und ich habe auf Hüpf vertraut, schließlich wollte der ja ...“ „Du sagst nicht die Wahrheit, Hüpf ist von dir überrumpelt worden und dann hat er Stachelchen ausgetrickst. Wenn ihr ehrlich seid, wollte keiner von euch mir diesen kleinen Gefallen tun.“ „Ich schon“, verteidigte sich Puh, „ich war nur zu geschafft und Pünktchen machte den Eindruck ...“ „ich will es nicht mehr hören, da ist einer nicht besser, als der andere.“ „Entschuldige bitte“, versuchte Puh es noch einmal, „wie können wir das wieder gut machen?“ „Bemüht euch nicht, ehe ihr miteinander ausgefochten habt, wer von euch mir etwas Gutes tun soll, habe ich bestimmt vergessen, warum“, war die Eule wütend und flog davon. „Gibt es keinen Rosenzauber?“, fragte Willy, der alles von seiner Kastanie aus belauscht hatte. „Leider nicht“, stöhnte Puh ratlos. „In deinem Garten blühen aber doch jede Menge Rosen“, meldete sich Zwitschi zu Wort, „wie wäre es, wenn jeder, der an diesem Schlamassel beteiligt war, der Eule eine zur Versöhnung bringt und sich noch einmal bei ihr entschuldigt.“ „In letzter Zeit hast du erstaunliche Ideen“, lobte Puh. „das wundert mich selbst“, sagte Zwitschi, „ich erkenne mich gar nicht wieder. Ich glaube, ich gehe jetzt in dein Haus und schmeiße die Zuckerdose vom Tisch. Vielleicht fühle ich mich dann besser.“ „Nicht nötig, fliege lieber im Wald herum, suche Hüpf, Stachelchen, Gundula, Listig und die Hasen. Bringe sie in meinen Garten. Der Rest der Arbeitsscheuen ist sowieso hier versammelt. Mich kann ich da leider auch nicht ausnehmen.“ Und Zwitschi sauste los.

Jeder der Drückeberger machte sich spät am Abend mit einer Rose auf den Weg zum Eulennest. Als die Eule die Prozession sah, traten ihr Tränen der Rührung in die Augen. Als sie aber auf ihren Rosenstock hinabblickte, stieg die Wut erneut in ihr auf. Puh machte den Anfang mit seiner Entschuldigung. Die anderen folgten in der Reihenfolge, in der sie die Arbeit aufeinander abgewälzt hatten. Agathe konnte nicht anders. Die Reue der Waldbewohner rührte sie und sie verzieh ihnen. Die Rosen stellte sie in eine Vase und beroch sie zufrieden.

Als Puh in sein Zwergenhaus kam, lagen weiße Krümel auf dem Fußboden. „Zwitschi!“, rief er. „Nicht, was du denkst, das ist kein Zucker, das ist Teppichreiniger, ich dachte, der könnte mal eine Säuberung vertragen“, sprach's und begann mit einer kleinen Bürste im Schnabel zu schrubben.